Neu: Der Park. Eine Philosophie des guten Lebens

Ein Tag im Park eröffnet die Möglichkeit der Lust, des Vergnügens, vielleicht sogar deren Steigerung, also der Freude und des Glücks. Ein Park ist ein Andersort, eine Heterotopie, dessen Besonderheit darin liegt, das Alltägliche auszuklammern, Sorgen und Schmerzen vergessen zu lassen. Vergnügen entsteht dort, wo die ‚Schmerzen‘ nicht sind. ‚Schmerzen‘ stehen dabei ganz allgemein für die Last, der ‚Park‘ für die Entlastung. – Seit 50 Jahren kann das in einer besonderen Art im Europa-Park Rust studiert und analysiert werden. Wenn der Park das Vergnügen selbst darstellt, dann ist der Vergnügungspark ein Vergnügungsvergnügen. Auf vielen Ebenen wird in diesem ungewöhnlichen Buchformat, das sich aus Kulturgeschichte, Philosophie, Theologie und Bildband zusammensetzt, dem gelingenden Leben nachgespürt.

Vom Vorurteil zum Vorzüglichen

In der Tat es war ein Zufall. Das 50-jährige Jubiläum des Europa-Park Rust 2025 hatte ich nicht im Blick. Mehr als augenscheinlich wäre es gewesen. Doch das Buchprojekt unterlag anderen Zeitläuften, individuellen und familiären. Natürlich wusste ich, dass es nördlich vom Kaiserstuhl den Europa-Park gibt. Von der A5 war er kaum zu übersehen. In seine unmittelbare Nähe glaubte ich nie zu gelangen und schon gar nicht hinter seine Pforten. Das Vergnügen stand mir fern, die Vorurteile gegen eine solche vermutete Art von Freizeitgestaltung verunmöglichten mir den Besuch. Ich sah mich in anderen Welten, in anderen Umgebungen, aber nicht im Zug einer Achterbahn. Niemals hätte ich mir vorstellen können, noch andere Dimensionen in einem Vergnügungspark zu entdecken, als das heitere Gezerre der Flieh- und Gravitationskräfte an meinem Körper. Lieber wanderte ich durch den Kaiserstuhl, besichtigte ich das Freiburger Münster, machte einen Ausflug nach Breisach und in die Festung des Sébastian Le Prestre Vauban auf der gegenüberliegenden Seite des Rheins in Frankreich, ab und an das geniale ‚Unter Linden‘. Welterbe, Kulturerbe schienen für mich eindeutige Begriffe, die eigentlich von meiner Seite durchaus offen und sehr breit gefächert waren. Auch den Europa-Park hätte ich vor einigen Jahren selbstverständlich als Kulturerbe anerkannt, auch wenn ich mich geweigert hätte, mich mit ihm zu beschäftigen. Alles Erbe der Kulturen ist Kulturerbe.
Es sind die liebgewonnenen préjugés, die Vorurteile, die uns abhalten, die Wirklichkeit unserer Umwelt in ihrer ganzen dinglichen Pracht zu erleben. Vorurteile sind sicherlich so hinderlich wie nützlich. Hätten wir keine, wir würden rastlos durch die physischen Räume, unsere Umwelten, eilen und der Doktrin des Holismus irgendwann sicherlich erschlafft wie erschöpft weiter und weiter folgen. Vorurteile helfen auszuschließen und unseren Weg durch die mannigfaltige diverse Vielfalt des Planeten zu finden und daran an nicht an Überlastung zu Grunde zu gehen.


Zum Abbau von Vorurteilen hilft mitunter der Anschub von außen. Wünsche von Familienmitgliedern, die so inständig sind, dass es kein Entrinnen gibt. Es ist eine Art der Fügung. So war es in meinem Fall. Da sagte der Sohn: „Europa-Park soll sein!“ und er sagte es nicht nur ein Mal. Und so wurde Europa-Park.
Mein Erstaunen darüber, was ich vorfand, wurde buchstäblich von Schritt zu Schritt größer. Der Park öffnete sich mir wie ein Buch, in dem ich lesen konnte, weil ich dort meine Sprache fand. Spielerisch-intelligenter Umgang mit Kulturerbe, atemberaubender Umgang mit Authentizität und architektonischen Hommagen, detailreich bis in die unscheinbarste Ecke. Der Park bot mir so viel, wie ich niemals auch nur annähernd hätte vermuten können. Es war ein synästhetisches Vergnügen, das sich mir bot. Obendrein gab es dazu eine glückliche Familie und leuchtende Augen. Alle waren vergnügt, mehr geht wohl nicht in einem Vergnügungspark.

Die Absicht erklärt sich, die Arbeit verjährt sich? – Nicht immer!

Einige Monate bevor ich den Park kennenlernen durfte, kontaktierte mich der Verleger Jürgen Stollberg aufgrund eines Zeitungsartikels über meine Forschungstätigkeit. Bei einem ersten Treffen in Baden-Baden vereinbarten wir ein gemeinsames Buchprojekt. Wie üblich bei solchen Vereinbarungen, war nicht klar, ob es jemals ansatzweise dazu kommen würde: Die Absicht erklärt sich, die Arbeit verjährt sich.
Doch die Rahmenbedingungen waren schnell gesteckt: Es sollte um die These gehen, dass historische Architektur der europäischen Altstädte Resilienz erzeugt, dass sie gutes Leben ermöglicht. Diese These vertrat ich bereits in einem anderen Buch, inzwischen sind dazu auch weitere Forschungsarbeiten, unter anderem eine Dissertation, entstanden. Das Buch, das in Zusammenarbeit mit Jürgen Stollberg sich entwickeln würde, sollte weniger wissenschaftlich als bildreich und an der dritten Mission der deutschen Universitäten, dem Wissenstransfer, orientiert sein. Bei einem weiteren noch relativ unverbindlichen Treffen legte ich ihm die Idee vor, nicht direkt mit den Altstädten in das Buch einzusteigen, sondern dreist mit dem Europa-Park und an dessen neuen historischen Altbauten historische ‚originale‘ Architektur zu erklären. Ich wollte mit der Architektur des Parks, also am ‚Unechten‘, meine These erläutern und erst dann an die Fallbeispiele der Altstädte herantreten.
Aus dieser Überlegung eines einleitenden Kapitels ist ein ganzes Buch geworden:
„Der Park. Eine Philosophie des guten Lebens“.
Der Europa-Park wird darin als leerer Park vorgestellt, ohne Menschen, ohne Fahrgeschäfte, wie ihn die wenigsten kennen. Es ist der Themenpark in seiner gebauten Gestaltung, wie er wohl nicht immer absichtsvoll über viele Jahre entstanden war, der in dem Buch abgebildet wird. Menschen strömen gewöhnlich an diesen Details vorbei, fest im Blick und ganz im Wollen rasante Attraktionen zu erleben. Zwar sehen sie den Park, nehmen ihn jedoch nicht wahr. So wollte ich den Park zeigen, wie ihn kaum jemand kennt, weil für die meisten Besucher nicht genug Zeit bleibt, ihn zu betrachten. Der Erlebnisdruck der Attraktionen ist einfach zu groß. Zudem wollte ich versuchen, den Park zu transzendieren, das heißt, das was ich sehe, wollte ich mit möglichst vielen Dimensionen meines Wissens verknüpfen und den Park global-kulturellen einordnen. Es offenbaren sich dadurch historisch, philosophische und theologische Dimensionen, die schier unendlich fortgesetzt werden könnten. Insofern ist ‚Der Park‘ nur ein kleiner Ausschnitt. Er ist die Hypostase meines Europa-Parks, so wie ich ihn sehe. Es gibt so viele Parks wie Menschen, die einen Bezug zu ihm haben, ob als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Besucherinnen und Besucher oder Personen, die einen anderweitigen Blick auf den Park haben. Dadurch entsteht ein erzählerisch-performativer Park, dessen materiell-dingliche Objekte in vielfältige narrative Welten weisen. Der Park wird räumlich größer als er annähernd physisch ist, der Park dehnt sich darüber hinaus nicht nur räumlich, sondern zeitlich aus. Aus 50 Jahren seines Bestehens werden 4000, mindestens, wenn nicht noch mehr. Performative Räume werden durch Performanz, in diesem Fall durch das Erzählen, geschaffen. Durch Assoziationen transzendiert der Park, weil er über seine physische Räumlichkeit in tiefe narrative Welten hineinragt. Ein Merkmal für das Transzendieren ist das Überschreiten von Grenzen des Wahrnehmbaren. Insofern liegt sogar eine mehrfache Transzendierung des Parks vor. Denn das für die meisten Besucher*innen Nicht-wahrnehmbare wird hier gezeigt. Für sie ist es der unsichtbare Park. Doch mit ihm befinden wir uns in der ersten Stufe des Transzendierens. Die zweite Stufe ist die Geisteswelt, in der sich der Park befindet, die nicht durch Perzeption, also durch Wahrnehmung, erschlossen werden kann, sondern nur durch Apperzeption, durch Denken, Assoziieren und Verknüpfen von Wissen. Das Nicht-Sichtbare bekommt einen dinglichen Ausdruck in Buchform.

Das gute Leben

Es vollzieht sich in dem Buch letztlich eine Auseinandersetzung mit der griechisch-antiken Philosophie. Der Epikuräische Hedonismus wird ins Zentrum gestellt. Griechische Philosophie muss wie alles historisiert werden. Hedonismus entstand in einer Zeit der Gewalt, in der menschliches Leben nicht viel zählte. Um den Lebensängsten umgehen zu können, entwickelten Hedonisten ihr höchstes Konzept, die Ataraxie, sie ist die höchste Lust und beschreibt die Gelassenheit und Seelenruhe gegenüber Schicksalsschlägen und Schmerzen. Ataraxie ermöglicht die Eudaimonie, das gute Leben. Nach Ataraxie, der höchsten Lust, sollte menschliches Leben streben. Diese Begrifflichkeiten sind historisch bedingt und sicherlich auch nicht zu implementieren in unser heutiges Leben. Aber wir können gutes Leben daraus ableiten. Wir können Schmerzen und Sorgen nicht verhindern, sie gehören zu unserem Leben, aber wir können jenen Zustand einer Form der Ataraxie temporär aufsuchen, der außerhalb unseres Alltags liegt. Ich denke, das ist so und so die moderne Form der Ataraxie. Sinnvoll ist es, sie genügsam, gemäßigt, nicht gefräßig zu unternehmen. Letztlich ist gutes Leben ein lebensbejahender bewusster Zustand, der immer wieder hinterfragt und erarbeitet werden muss. Bewusstsein gehört unweigerlich dazu. Darin liegt auch die schwierigste aller Aufgaben, sich dessen bewusst zu werden, was uns unfrei macht, was uns kein freies Handeln ermöglicht. Unfreies Handeln ist letztlich nicht schlimm, wir entkommen ihm nicht, aber ich denke, wir streben nach dem freiheitlichen Ausleben unserer Veranlagungen in einem Bewusstsein der Grenzen, in denen wir leben. Wenn wir diese Grenzen ab und an aufbrechen können, um in einen symbolischen Garten oder Park zu gehen, die immer die Heterotopie, Andersorte oder das andere schlechthin darstellen, dann führen wir ein bewusstes Leben. Darin könnte gutes Leben gelingen, die Möglichkeiten sind durchaus gegeben. 

„Der Park. Eine Philosophie des guten Lebens“ kann hier erworben werden:

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