Spätestens mit dem 29. Januar 2025 endete die CDU, wie sie einmal gewesen war. Erstaunlich, wie sich diese Europa-Partei selbst zerstörte. Am 28. Januar 2025 wurde noch die absolute Mehrheit anvisiert. Einen Tag später zeigt sich: Merz hat alles verspielt. Und nun? – Ende schlecht, alles schlecht. Für Deutschland verheißt Merz‘ Scheitern nichts Gutes.
Welche Regierung werden wir bekommen? Die Union hat sich auf einen nationalstaatlichen und europaunfreundlichen Weg begeben. Spätestens wenn Friedrich Merz Kanzler werden sollte – was jetzt wohl auszuschließen ist – und Richtlinienkompetenz erlangt sowie auf diesen Geleisen weiterdampfert, wird die alte CDU ganz und gar nichts mehr sein. Sollte er eine andere Weichenstellung bevorzugen, verliert er noch mehr an Glaubwürdigkeit. Dauerhafte Grenzkontrollen, die Rückabwicklung des Schengener Übereinkommens, die Berufung auf nationalen Notstand, all das lässt nichts Gutes erwarten. Das mag pragmatisch anmuten, um CDU-Wähler einzufangen und die politischen Ränder zu schwächen. All das steht im grellen Scheinwerferlicht des neuen Zeitalters der „Negativen Entropie“ – alles einfach, alles dicht, alles zurück, alles ordentlich.
Der höchste Preis für den Traum von der absoluten Mehrheit
Aber wie hoch ist der Preis? Welche Folgen auf europäischer Ebene hat sein Handeln? Meint er wirklich, das sei verantwortungsvoll? Hat Merz gerade eine antieuropäische Lawine losgetreten, die nicht mehr aufzuhalten sein wird? Dass eine Folgenabschätzung im CDU-Präsidium nicht unternommen wurde, ist kaum vorstellbar. Folglich nimmt diese Union alle Gefahren in Kauf, um Prozentpunkte für die Wahl hinzuzugewinnen. Offenbar sind es viele Prozentpunkte, die den Allmachtsträumen mit hoffnungsfrohem Blick auf die absolute Mehrheit entspringen. Auf sie setzte die Union. Sonst wäre der Einsatz nicht so hoch und so risikoreich gewesen.
Instrumentalisierung der Opfer
Auch Verzweiflung könnte ein Erklärungsangebot liefern, warum die Opfer von Aschaffenburg auf diese bemerkenswert unschöne Weise taktierend instrumentalisiert wurden. Das Wahlkampfteam von Merz saß wie die Katze vor dem Mauseloch, fürchtete sowie erhoffte eine Katastrophe, die ihren Kopf herausstreckt, fürchtete einen Test Putins Marschflugkörper oder ein unpassendes Gelächter des Parteivorsitzenden (doch Merz lacht nicht), hoffte auf eine Katastrophe, eine Tragödie, die das berühmte Wendemoment im Wahlkampf liefern könnte, ein Hochwasser an der Elbe oder eben ein anderes Ereignis, einfach etwas Gewaltiges, das die Wähler*innen emotionalisiert. Die Katastrophe kam und das Team zerrte sie heraus, um sie an das Rednerpult des Bundestags zu tragen. Und die Emotionalisierung? – Hat geklappt! Aber möglicherweise nicht in der Art und Weise, wie die Merz-Bubble und ihr Stimmcluster im Bundestag sich das vorgestellt haben.
Entfesselt die Partei
Was war davor in dieser Woche in der CDU geschehen? In bewegenden Worten wurde in einer Online-Mitgliederveranstaltung detailliert und bildreich der Tathergang inklusive einer Beschreibung der Waffe geliefert, um aus dieser Schrecklichkeit die neue deutsche Politik abzuleiten. Weit über tausend Mitglieder hören zu, Die politischen Folgen, die nun daraus extrahiert werden, kommentieren sie mit klatschenden Händen und thumbs up. Eine gefühlte Minderheit, abschätzig „Merkelianer“ genannt, zu der auch ich gehörte, sitzt vor ihren digitalen Endgeräten und kann nicht glauben, was sich dort in „ihrer Partei“ abspielt. Entfesselt zeigt sich diese Partei. Die Veranstaltung lässt erahnen, was es bedeutet, wenn in Deutschland mehr als 50 % der Wähler*innen von AfD, FDP, BSW und Union gemeinsam die politischen Weichen der nächsten Jahre stellen. Ist das die CDU? Ja, sie ist es! Die neue CDU, die Europa vergessen hat, die plump und trump agiert und glaubt, sie sei zu allem Handeln legitimiert, weil der Wähler (sic!) es so will. – Hätte es keine andere Lösung gegeben? Spiegelt das die Lage wider, in der wir uns befinden?
Thorsten Frei und der Populismus
Wenn ja, dann werden wir einen Umbau erleben, der kaum vorstellbar ist. Die Auswirkungen werden im Rahmen einer nationalstaatlichen Restauration spürbar werden. Es ist nur noch zu hoffen, dass die zukünftige koalierende Partei, möglicherweise die SPD, genug Kraft hat, diese Union in ihre Schranken zu weisen, um den Schaden auf europäischer Ebene gering zu halten. Orban gratulierte inzwischen schon und begrüßt Deutschland in seinem Club. Nun scheint es, dass auch die CDU dem Populismus anheimgefallen ist. Oder mit den Worten des Parlamentarischen Geschäftsführers Thorsten Frei: „Politik muss sich wieder am Wählerwillen ausrichten.“ Wer in der Partei dagegen nichts anmerkt, nicht kommentiert, ist mitgefangen.
Aktuelle Umfragen – ein Hoffnungsschimmer vor dem 29.01.
Das erste Forsa-Umfrageergebnis nach dem Unionsvorstoß vom 28. Januar 2025 zeigt erst einmal etwas anderes: Der Wählerwille sagt: 1 % bzw. 3 % Minus für die Ideen des Merz. Eine andere Umfrage spricht der Union ein Plus zu. Sollte sich aber der Minus-Trend fortsetzen, müsste sich Thorsten Frei fragen lassen, ob des Wählers Willen sich nicht lieber dem Original zuwendet, als der Kopie sein zartes Stimmchen zu schenken. Es scheint darüber hinaus als seien zumindest momentan die Stimmen verteilt, als entschieden sich nur noch wenige, ob sie statt der Union doch lieber zu Grünen, zu SPD oder zur AfD wechseln wollten. Aber das kann sich noch ändern, wenn Wut und Hass auf allen Seiten weiter hochkochen wie nach der Abstimmung am 29. Januar 2025. So viele hasserfüllte Kommentare konnten selten gelesen werden. Was für eine Ohnmacht ist zu verspüren? Was hat diese Union nur angerichtet?
Der Traum des Optimisten
Es wäre seit mindestens einer Woche längst an der Zeit gewesen eine neue Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten der Union zu finden, die oder der eine gemäßigte und vor allem vernunftgeleitete Linie verfolgt. Eine Utopie ist das natürlich. Es ist zu spät. Doch darin bestünde vielleicht noch der Weg aus dem heillosen Schlamassel herauszukommen, das die exklusive Merz-Bubble, bestehend aus Merz, Linnemann, Klöckner und Spahn, angerichtet hat. Es ständen wesentlich umsichtigere, für komplexe und kompromissfähige Politik viel besser geeignete Unionskandidatinnen und Unionskandidaten aus der CDU bereit, als Merz es je war und je sein wird. Die Union hätte eine so wichtige und große Rolle für die Zukunft Deutschlands spielen können und müssen, sie hat momentan alles verspielt. Wie unfassbar bedauerlich ist diese Situation.
Es wäre zu hoffen, dass diese Partei schnellst möglich „Metanoia!“ ruft und diesem Ruf auch folgt. – Wenn nicht, wird es spannend für die CDU, ob auch sie es schafft sich zu marginalisieren, indem sie sich spaltet.
Die anderen
Da saßen die Wahlkampfteams der Grünen und der SPD nicht wie die Katzen vor dem Mauseloch. Sie warteten nicht, weil nichts zu erwarten war. Da kommt ganz unverhofft der Wendepunkt, die Möglichkeit, die niemand wohl gedacht. Mein akademischer Lehrer sagte in solchen Fällen, in denen alles entschieden schien: „Man hat schon Pferde kotzen sehen.“ Was nichts anderes beschreibt als eine physiognomische Unmöglichkeit der Pferde bedingt durch ihre besondere Art der Peristaltik, die nur in eine Richtung funktioniert. Für Friedrich Merz und seine Kanzlerschaft, für die Grünen und die SPD ist das in der Tat zutreffend. Niemand hätte gedacht, dass Merz nicht Kanzler wird, niemand hätte gedacht, dass die Grünen, die als Loser der Nation verschrieen waren, noch Zulauf bekommen, niemand glaubte an einen Bundeskanzler Scholz. Andere wollten mehr Musk wagen, man hat das nicht glauben wollen, aber sie haben es getan. Und nun?
Und das Ergebnis?
Das steht natürlich in den Sternen. Merz ist eine Mobilisierung geglückt, die so nicht zu erwarten war. Aber das ändert nichts. Vielleicht schafft es die Linke über die 5 % und können in den neuen Bundestag einziehen. Vielleicht gewinnen die Grünen weiter hinzu und nähern sich deutlich der SPD, vielleicht können die Grünen sie sogar in der Wähler*innengunst überholen. Entscheidend für die Beurteilung des riskanten Manövers von Friedrich Merz wird sein, ob er die AfD-Wähler*innen mobilisieren kann. Wie es nach den neusten Umfragen aussieht, funktioniert das nicht. Von den anderen Parteien könnte er minimal gewinnen. Gleichzeitig verliert er CDU-Wähler*innen, die nicht mehr mit der Partei gehen können.
Warum der bestehende Trend bis zum Wahltag so bleiben könnte? Es gibt eine einfache Wahrheit: Niemand ausser der AfD gelingt es momentan für größere Bevölkerungsteile Zuversicht zu verbreiten, um die mannigfaltigen Probleme zu lösen. All jene, die zurecht nicht AfD wählen können, entscheiden sich für das für sie geringste Übel und die für sie beste unter den schlechten Lösungen für die Demokratie, aber mit dem Unwohlsein, dass allein Hoffnung helfen kann. Der Schlüssel heißt meines Erachtens: Zuversicht. Die CDU und auch die CSU sowie die FDP haben sich auf den Versuch verständigt, Zuversicht nötigenfalls mit der AfD zu verbreiten. Das bestätigte offensichtlich die AfD und wohl auch ihre Wähler*innen, aber gelingt es auch für die Wählerschaft der Union? Es bestätigt sicherlich die Wähler*innen, die zwar der CDU zutrauten, sie könne die Probleme lösen, aber nun völlig verunsichert, sogar entsetzt über ihre Art des Handelns sind, und sich folgerichtig abwenden. Sie gehen zu denen, die standhaft gegenüber der AfD bleiben, obwohl sie ihnen nicht zutrauen, die Probleme lösen zu können. Aber immerhin vermitteln sie Zuversicht, dass sie für die Demokratie einstehen. Die fundamentalere Angst schlägt die Ängste über die aktuellen dringenden Probleme und den mit ihnen verbundenen Ängsten.
So gelingt es gerade den Grünen und der Linken neue Mitglieder zu bekommen. Merz provozierte eine fundamentale Verunsicherung bezüglich der Demokratie. Er raubte vielen die Gewissheit, dass die CDU für die Demokratie stehe. Entstanden ist Angst, Wut und Misstrauen. Verloren ist die letzte aller Zuversichten, die Demokratie betreffend. Da ist es gleichgültig, dass die CDU mit Sicherheit eine demokratische Partei ist, deren Führungspersonal momentan nicht optimal geeignet ist, dies auch zu vermitteln, so vehement dies auch vertreten wird. Die Handlung spricht hier wohl gegen die Worte des Merz. Diese grundlegende Angst vor dem politischen Systemwechsel, von der implodierenden Demokratie hin zu einer Autokratie, überschattet bei vielen die Ängste vor wirtschaftlichem Abstieg und Migration. Merz hat auf einer basalen Ebene Ängste entfesselt. Ob Merz diese fatale Situation heilen kann, ob er die Geister, die er rief einfangen kann? – Aber all das werden wir in ein paar Wochen wissen. Dann sehen wir, wie es gewesen sein wird.
Wer Bundeskanzler*in wird? Das steht in den Sternen. Es bleibt nur die Hoffnung, auch ganz besonders für die Zukunft der CDU, dass es Friedrich Merz nicht wird. Doch die Hoffnung soll nicht aufgegeben werden. Nun hat er noch ein paar Wochen, um anderes zu beweisen. Wir wissen nun, er kann rücksichtslose „klare harte Kante“. Vielleicht schafft er es seinen Scherbenhaufen mit einer Charmeoffensive wegzuschaufeln. Zu trauen sind seine Worte erst einmal nicht mehr.
Zu meiner Person: Die CDU schien mir politische Heimat zu sein.
Am 29. Januar 2025 bin ich ausgetreten.
Ein Gedanke zu “F. Merz – Das war’s dann”