The Good Life – was sonst! Corona und das gute Leben

Baden-Baden nennt sich nach einem historischen Territorium, das es schon lange nicht mehr gibt. Die Doppelung erklärt sich gut mit dem anderen längst vergangenen badischen Territorium, Baden-Durlach. In Durlach wurde regiert, dort lag die Residenz Baden-Durlachs. Ebenso verhält es sich mit der Stadt Baden. Über ihr siedelte bis zum Pfälzer Erbfolgekrieg das Residenzschloss des badischen Teilterritoriums – Baden-Baden. Längst übertrug sich der Namen des Territoriums auf die Stadt.
Ein Spaziergang durch Baden-Baden verunmöglicht es, sich an einer weiteren Wiederholung vorbeizuschmuggeln, dem Stadtslogan: The Good-Good Life. Nicht einfach The Good Life, nein, The Good-Good Life lässt sich hier finden. Was für eine Verheißung! Eine Aussage mit Tiefgangpotentialnucleus oder mit banalster Normalnulldominanz der Oberfläche.
Wir alle wollen es, das gute Leben. Und wie Hartmut Rosa es bereits analysierte, es geht nur mit Entschleunigung, mit Reduktion, mit Umbewertung unserer Möglichkeiten. Das gute Leben ist Ziel und Sinn des Lebens. Zwar heißt es auch ganz funktionalistisch: Der Sinn des Lebens ist zu leben. Aber der Satz erscheint so vegetativ, so unkultiviert, so unmenschlich. Das vegetative Leben reicht doch nicht für das gute Leben!

The Good Life besteht aus einigen systemischen Fixpunkten: Existenzsicherung, reichhaltige soziale Konstruktion über die dingliche Wirklichkeit, Möglichkeiten, die geschaffene kulturellen Produkte zu genießen, die Menschenhand entwickelt hat, Möglichkeiten der kulturellen Produktion zu erschaffen sowie unbeschwerte Zeit für deren Genuss. Der Mensch als Demiurg, der Welten des Schönen erschafft und darüber spricht! Seine Werke zu genießen, ist eine der Grundlagen des Good Life. Genieße wahrnehmend das Geschaffene und erschaffe das Genossene durch den Genuss es zu kommunizieren! Darin liegt das Geheimnis des Good Life.

So deutlich wie in der Coronazeit war uns das wohl noch nie bewusst. Es gibt kein Good Life ohne die Produkte der Kulturen, der Erzeugnisse aus Menschenhand der Demiurginnen und Demiurgen und ohne die Kommunikation über sie. Die Kommunikation erschafft Mythen, Lebenselixiere einer übervegetativen Lebensauffassung, die uns in die Pflicht nimmt, unsere Existenz zu erhalten und den Genuss des Schönen zu ermöglichen.
Einen Fixpunkt des Good Life hat uns Corona geschenkt: die Entschleunigung. Es ist zu hoffen, sie zu erhalten, auch für das Klima und damit für unsere Existenz. Nun brauchen wir nur noch die Kultur zurück. Sie ist in der Tat nicht „systemrelevant“, denn in einem System gibt es keinen Teil, der systemrelevanter sein könnte als ein anderer. Möge das Unwort des Jahres 2020 dazu führen unser System in seiner Relevanz zu erkennen.
Wir brauchen Wege zum Schönen.