„Kollektive Akteure“ und Gewalt. Macht und Ohnmacht im 20. Jahrhundert vom 22. bis 24. Januar 2015
CFP – Macht und Ohnmacht „kollektiver Akteure“ im Angesicht von Gewalt und ihren Folgen. Zur Bedeutung des Faktors Gewalt für die Gesellschaften Europas im 20. Jahrhundert
Die machtvolle Sprache bewusster Ohnmacht der Postmoderne. Textanaylsen der Autoren des Wiener Passagen Verlags
Dr. Stefan Lindl
Universität Augsburg
Gewalt das sind die -ismen des 20. Jahrhunderts. Jene dunkle Seite der Moderne, die Gedankenstarre verordnete und Gedanken brutal, gewaltvoll, voll Macht materialisierte. Wer nicht dachte oder schlicht nicht so war, wie einige Mächtige es wollten, wurde ausgegrenzt, gejagt, gefoltert, ermordet. Doch diese physische Gewalt war zuerst in der Sprache angelegt. In ihr formiert sich Gewalt. Gewalt gegen Begriffe, die in ihrer materiellen Entfesselung des 20. Jahrhunderts tödlich endete.
Victor Klemperers ‚LTI – Lingua Tertii Imperii’ thematisierte diese Sprache der Gewalt, der Ausgrenzung, der Vernichtung in eindrucksvoller Weise. Ihr der Linuga Tertii Imperii stellt der geplante Vortrag eine andere Sprache gegenüber. Die Sprache der Denker der Postmoderne, die sich dem Projekt der Dekonstruktion verschrieben haben. Ihnen geht es um das Hinterfragen, fester sprachlicher Formen, die sich machtvoll und auch gewaltvoll materialisiert haben oder immer wieder in der Gesellschaft materialisieren. Erstaunlich ist dabei, dass es eine Sprache ist, die ein Position bewusster Ohnmacht einnimmt, um die Diversität, die Vielfalt und die Differenz ohne Wertung und Bewertung zu betrachten. Dabei ist der Akt der Dekonstruktion ein höchst gewaltvoller und auch machtvoller, denn seine Absicht besteht darin, das gewachsene sprachliche Gefüge auseinanderzunehmen und die Praktiken, die mit der Sprache verwoben sind, zu negieren und umzustürzen. Postmoderne war für Jean-François Lyotard der stete Umbruch: „Alles Überkommene, […] selbst wenn es nur von gestern ist, muß hinterfragt werden.“[1]
Das Ziel der Dekonstruktion jedoch bestand darin, die Praktiken der Gewalt und der Macht zu entlarven und in diesem Prozess der Dekonstruktion zunichte zu machen. Sprachliche Gegengewalt und Gegenmacht gegen gesellschaftliche Gewalt und Macht wurde für ein gemeinsames Ziel des kollektiven Akteurs der postmodernen Autoren verwendet: die Vielfalt und die Differenz als Bereicherung und nicht als Malus zu sehen. Heute sprechen wir von Diversität, ein Begriff, der ohne diesen Prozess der Dekonstruktion keinen Raum in unserem Sprachgebrauch hätte. Insofern ist die Postmoderne geprägt von enantiodromischen Denken über Gewalt: Sie übt Gewalt gegen Gewalt aus, ohne selbst Gewaltvoll sich in den -ismen des 20. Jahrhunderts zu verorten. Ihre Sprache ist eine gewalt- und machtvolle Sprache, die im Idealfall aus dem Nirgendwo der Ohnmacht gesprochen wird.
Mit einer eigens für die Einschätzung von Gewalt und Dominanz entwickelten Methode – die Modifikationsanalyse – werden Texte der Autoren des Passagen Verlags analysiert. Der Wiener Verlag repräsentiert wie kaum ein anderer den ‚kollektiven Akteur’ der Postmoderne und PostPostmoderne im deutschsprachigen Raum.
[1] Jean François Lyotard, Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-1985, Wien 21996, S. 26.