„Schreiben Sie doch ein Hörspiel. Ich helfe Ihnen, um es im Bayerischen Rundfunk unterzubringen“, ermutigte mich Friedrich Prinz, mein Akademischer Lehrer. Ein Polyhistor, vielseitig-universell gebildet, vom Frühmittelalter bis in seine eigene Gegenwart, ein Dichter, ein gefürchteter Poet, der mit Augenzwinkern seine Reime in die Welt schickte. Ein Hörspiel also soll es werden! Nun gut dann setze ich mich noch einmal an meinen Schreibtisch, dachte ich mir.
Ein halbes Jahr hatte ich mich mit Immanuel Kant beschäftigt. Unbedingt wollte ich etwas über sein 1795 erschienenes Werk „Zum ewigen Frieden“ verfassen. Letztlich hat der Bayerische Rundfunk nicht auf mich gewartet. Ein Kantspezialist hatte das Hörspiel geschrieben, das schließlich auch auf Bayern 2 gesendet wurde. Für mich war es ein Einstieg in eine Reihe von Auftritten, denn schnell wurde aus dem Hörspiel ein Theaterstück mit Musik. Boubas Umu, das Trio, in dem ich lange mit Tobi Lenhart und Andreas Kaps spielte, untermalte den Dialog der beiden Soldaten. Die beiden Soldaten mimten Oliver Hochkeppel und Niko Meichsner.
Nun feiern wir heute am 22. April 2024 Immanuels 300sten Geburtstag. Eine Gelegenheit den verschollenen und vergessenen Dialog herauszusuchen, ihn zeitgemäß zu konvertieren… auch wegen seines Inhalts ist er nicht ganz unaktuell – zum ewigen Frieden, den wir uns doch so sehr wünschen.
Auf ewig ist der Krieg vermieden, / Befolgt man was der Weise spricht; / Dann halten alle Menschen Frieden, / Allein die Philosophen nicht… (Abraham Gotthelf Kästner)
Immanuel Kants »Zum Ewigen Frieden«
von Stefan Lindl (1995)
(Musik)
Einleitung
1. Sprecher sitzt am Tisch und liest in einem Buch. 2. Sprecher kommt herein und schaut verächtlich, was denn der Kamerad da lese.
2. Sprecher: Ah, ein Buch über das 18. Jahrhundert!
1. Sprecher: Ganz richtig.
2. Sprecher: Steht darin wenigstens etwas über die Kriege im 18. Jahrhundert? Über den großen Fritz, den zackigen Preußen-Burschen?
1. Sprecher: Nein, ich fürchte, ich muß dich enttäuschen. In diesem Buch geht es um die Kultur des 18. Jahrhunderts.
2. Sprecher: Keine Krieg? Ausschließlich Kultur? Du verstehst darunter zum Beispiel die Barock- und Rokokokirchen hier in Bayern?
1. Sprecher: Wenn du das 18. Jahrhundert verstehen möchtest, solltest du genau diese reichen Überreste bayerischer Kloster- und Wallfahrtskultur mit einem eingehenden Besuch beehren.
2. Sprecher: Meinst Du wirklich? Ob kampfgrün, schwarz oder braun es wird wohl keine großen Unterschiede zwischen der Uniform des Soldaten und dem Habitus der Mönche geben. Uniform ist uniform. Also, kein Kloster, ich bleib in der Kaserne!
1. Sprecher: Vergleiche nur einmal friedlich fette, klösterliche Geborgenheit in einem Refektorium und soldatenhafte Kasinoderbheit. Da wirst du Unterschiede erkennen. Ein Klosterbesuch lohnt sich!
2. Sprecher: Nun, ich werde dir nicht mehr widersprechen. Aber wir treffen uns heute, weil wir über Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ sprechen wollten. Warum soll ich dazu die Relikte bayerischer Kloster- und Wallfahrtskultur aufsuchen? Wie sollte ich durch sie die Geisteskultur der Aufklärung begreifen?
1. Sprecher: Das ist doch wohl klar. Kirchen und Klöster sind die Monumente, die Denkmäler einer vergangenen und deswegen fremden Kultur. (- Pause – dann sehr getragen) Betreten wir sie, durchschreiten wir eine Pforte in die Vergangenheit.
2. Sprecher: Ergreifende Worte! Doch ich ahne, auf was du hinauswillst. – Aber beginne von vorn!
1. Sprecher: Nach den Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts hatte die katholische Kirche wieder ein Gefühl von Sicherheit erlangt. Unter der Anleihe des Glanzes weltlicher Hofhaltungen und der Liebe zum Zeremoniell präsentierte sie ihr neues, selbstbewußtes Kleid der Kirch- und Klosterbauten. Die Sakralarchitektur des 18. Jahrhunderts hebt sich mit ihrer reichhaltigen Außengliederung, den mit Voluten besetzten Giebeln und den kühn in den Himmel geschwungenenTürmen deutlich von der übrigen Bebauung ab. Weit über das Land erstrahlen Macht und Ansehen der katholischen Kirche. Aber erst im Innenraum der Gotteshäuser entfaltet sich das wesentliche Verständnis von Mensch und Kultur des Barocks.
2. Sprecher: Kaum betrat der Gläubige die Kirche, hatte er bereits die Nichtigkeit der Welt verlassen. Er wurde zum Statisten in der Inszenierung eines heiligen Schauspiels, in einem Kirchenraum, der Bühne, der Parkett und Logen beinhaltete, der sich selbst als eine genial verschmolzene Kulisse verstand. Mauerwerk wächst mit zierlichen Rocaillen in die bemalten Decken, aufgelöst sind die Grenzen künstlerischer Bereiche. Architektur, Stukkatur und Malerei sind eins, sind ein Gesamtkunstwerk und gedeihen unter der Maxime „bestmögliche Illusion“. Szenen aus den Heiligenleben wandeln sich im barocken Kirchenraum von der Distanz der Worte zur Präsenz der Bilder. Es ist wohlüberlegte Inszenierung, das „Theatrum sacrum“ – heiliges Theater.
1. Sprecher: In der Asam-Kirche Weltenburg reitet der heilige Georg auf einem goldgeschmückten Roß in den Gemeinderaum. Spielerisch leicht stößt Georg mit der Lanze nach dem Drachen. Das Sinnbild des Bösen und des Heidentums scheint für den Streiter der Christenheit kein ebenbürtiger Gegner. Der Besucher der Kirche ist unmittelbarer Zeuge des „heiligen“ Kampfes, ein Statist inmitten einer bühnenhaften Handlung, die um so wirklicher scheint, als Georgs offene Kontur, hart gezeichnet von diffusem, indirektem Licht, an Lebendigkeit gewinnt.
2. Sprecher: In der Klosterkirche Rohr in Niederbayern wird der Gläubige Zeuge der „Himmelfahrt Mariens“. Maria wird von zwei Engeln zu dem göttlichen Licht der heiligen Dreifaltigkeit emporgehoben.
1. Sprecher: Um den geöffneten Sarg stehen die Apostel, sie gestikulieren Erstaunen. Einige von ihnen lenken den Blick nach oben, andere können das göttliche Wunder nicht fassen, ungläubig untersuchen sie das geöffnete Grab.
2. Sprecher: In all diesen Szenerien ist der Gläubige ein Teil der Handlung gewesen, wurde in die Geschehnisse einbezogen. Aber er war und blieb Statist, der keinen Einfluß auf den Ablauf der verbildlichten Handlung nehmen konnte. Sein Wesen blieb nichtig, unselbständig, und doch war er Teil eines heiligen Ganzen. Ein irdisches, illusionistisches Nebenher von Gott, Kirche und Gläubigen.
(Kleine Pause)
1. Sprecher: Kirchen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut wurden, bieten dem Betrachter ein völlig anderes Bild. Beispiele für klassizistische Bauten wären der Chorraum von Kloster Ettal oder die Klosterkirche von Schlehdorf. Klassizistische Formen beherrschen die klar gegliederten Innenräume. Es gibt keine verschwimmenden Zonen mehr. Eine Wand ist eine Wand, ein Gewölbe ein Gewölbe. Natürlich findet sich im Klassizismus auch die Deckenmalerei. Sie versteht sich jedoch nicht als Kulisse. Ein Rahmen aus Stuck erklärt die klassizistischen Fresken zu Bildern. Nicht wie im Rokoko ist der Gläubige ein Teil der Szenerie – er ist Betrachter. Im Klassizismus steht er außerhalb der gemalten Handlung, er befindet sich in einem Kirchenraum, außerhalb des Stuckrahmens. Frei ist er, ein Individuum, nicht mehr einbezogen in ein System der Illusion. Er lebt in der Wunschvorstellung einer unverschnörkelten, entkleideten Welt der Vernunft.
2. Sprecher: Hinter diesem Wandel der Kunst versteckt sich eine europaweite geistige Bewegung, die Aufklärung. Sie wurde in Deutschland nicht zuletzt von den bedeutenden Philosophen protestantischer Denkungsart wesentlich beeinflußt. Christian Wolff oder der beredte Immanuel Kant aus dem ostpreußischen Königsberg sind wohl die bekanntesten Vertreter.
1. Sprecher: Der Mensch sollte „aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ heraustreten und sich seines Verstandes bedienen. „Cogito, ergo sum“ – Ich denke, also bin ich -, der Satz Descartes´ ist das Wesensmerkmal der Aufklärung. Vor allen Tieren ist der Mensch durch seine Fähigkeit zu denken ausgezeichnet. Denkt er nicht, das heißt, nutzt er seine kognitiven Fähigkeiten nicht, um mündig zu werden, ist er lediglich der Schein seiner selbst, also unmündig. Alle Volksschichten erfasse – so hofften die Aufklärer – die Mündigkeit. Ein Vorgang der die bestehende Gesellschaft des 18. Jahrhunderts aus sich selbst über kurz oder lang in eine bessere Gesellschaft verwandeln sollte.
2. Sprecher: Wir sollten auch von den zahlreichen Kriegen während des 18. Jahrhunderts sprechen. Denn eine bessere Gesellschaft hatte das Jahrhundert der Aufklärung reichlich nötig. Es präsentiert nicht allein eine kunstreiche und geistvolle Epoche: Kämpfe um Macht und Legitimation erwiesen sich viel dominanter. Die zarten Pflanzen der Aufklärung waren zwar weit in der Gesellschaft, wenn auch unbewußt, verbreitet. Der puren Gewalt der Kriege konnten sie jedoch nicht widerstehen. Seit dem Großen Krieg des 17. Jahrhunderts, der dreißig Jahre ganze Teile Europas verwüstete, kam Europa in seiner Totalität betrachtet nicht zur Ruhe.
1. Sprecher: Als wäre das 17. Jahrhundert nicht abschreckendes Beispiel genug gewesen, tat das 18. Jahrhundert gerade so, als wolle es seinem Vorgänger Not, Leid und Tod mit Freuden nachempfinden.
(Kriege)
2. Sprecher: 1701-1714: Der spanische Erbfolgekrieg erschüttert Europa. Bayern wird von Kampfhandlungen überzogen. Man denke an die allbekannte Sendlinger Mordweihnacht oder die Aidenbacher Metzelei bei Passau.
1. Sprecher: 1740-1748: Österreichischer Erbfolgekrieg und die beiden Schlesischen Kriege. Karl Albrecht von Bayern kämpft um die Kaiserkrone gegen die Habsburgerin Maria Theresia. Und ihr lebenslanger Gegenspieler Friedrich der Große versucht gleichzeitig, in den zwei Schlesischen Kriegen, sein Territorium auf Kosten Österreichs zu erweitern und Preußen als erheblichen politischen Faktor in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation einzuführen.
2. Sprecher: 1756-1763: Siebenjähriger Krieg! Friedrich II. bestätigt mit seinen militärischen Erfolgen die Stellung Preußens und damit die neue Machtverteilung in Europa. Danach der kurze bayerische Erbfolgekrieg, der als »Kartoffelkrieg« in die Geschichte eingehen sollte.
1. Sprecher: 1789: Die Französische Revolution bringt neuen Konfliktstoff auf den europäischen Tagesplan. Das aristokratische Europa verbündet sich gegen das „bürgerlich“ gewordene Frankreich. In den Koalitionskriegen zerfällt das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in einzelne Gruppen. Im April 1795 zieht sich Preußen im Basler Frieden aus der europäischen Koalition zurück. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation löst sich letztendlich 1803 auf.
2. Sprecher: Mag es da jemanden erstaunen, daß Johann Wilhelm Ludwig Gleim sein 18. Jahrhundert als ein Saeculum des Krieges in anakreontischen Versen besang:
(Musik)
Zitat: Mit Kriegen fingst du an,
mit Kriegen endigest du,
Mit Säbel- und mit Federkriegen,
Jahrhundert! Allen Kriegeszügen
Sah Gott vom höchsten Himmel zu!
War Kriege sehen sein Vergnügen?
Nein! riefs vom Himmel, Menschenkind?
Nein! aber eure Seelen sind
Von Gott dem Schöpfer frei erschaffen,
Das Reich der Tugenden, das Reich
Der Wissenschaften lag vor euch –
Und ihr erwähltet Waffen!
1. Sprecher: Ist im „Reich der Tugenden“ und „der Wissenschaften“ nicht das hohe Ziel des gelehrten und rationalen Jahrhunderts der Aufklärung beheimatet? Steht nicht das Bildungsideal des ach so erwünschten, aufgeklärten, denkenden Menschens, der nach der Vernunft handelt, nicht im Widerspruch zu den rohen Sitten der Kriege?
2. Sprecher: Nein. Immanuel Kant, der eine vielzitierte Antwort auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ wußte, verstand sein Jahrhundert bei weitem nicht als aufgeklärtes Zeitalter. Er analysiert es als „Zeitalter der Aufklärung“. Das heißt, es lieferte lediglich die Grundlagen, den Ausgang, für eine mündige Gesellschaft. Sein Hoffen ist eine sich selbst verbessernde Gesellschaft, eine Evolution, die auf freier Meinungsäußerung beruht und fähig ist, die Gesellschaft zu verändern. Allerdings verlangt er seinen denkenden, mündigen Menschen strikten Gehorsam gegenüber dem Staate ab.
(2. Sprecher: Hebt an, zu reden.)
1. Sprecher: Entschuldige bitte, aber du wirst doch wohl deine Mütze abnehmen wenn du Kant zitierst. Das hast du doch vor? Nicht wahr?
Zitat (2. Spr.): So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, […] über die Fehler im Kriegsdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.
Kant bringt den Gehorsamsbegriff auf eine knappe Formel:
„räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber; nur gehorcht!“
Und doch sieht er gerade im Räsonnieren den wichtigsten Bestandteil, eine Gesellschaft von Grund auf zu verbessern.
Zitat: Wenn denn die Natur […] den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.
„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“, schreibt der Philosoph und blickt optimistisch in ein aufgeklärtes Zeitalter einer wohlbedachten, rational-denkenden Gesellschaft, die keine Kriege kennen würde.
1. Sprecher: Immanuel Kant hat mit seiner Antwort auf die Frage „Was ist Aufklärung?“ das 18. Jahrhundert als einen kritischen, gedankenreichen Pflanzgarten für eine Blüte friedvollen menschlichen Zusammenlebens ausgewiesen. Aber die eben zitierten Stellen gaben dazu letztlich einen allgemein gefaßten Wegweiser gedanklicher Emanzipation auf obrigkeitstreuen Prinzipien. Die Menschheit wird von ihm zwar angehalten mit „Räsonnieren“ die Gesellschaft zu verbessern, aber wie sie eine bessere Gesellschaft zu erwirken hätte, erwähnt er nicht.
(Musik)
(Zum Ewigen Frieden, politische theorie)
2. Sprecher: Konkret nimmt Kant in seiner am 29. September 1795 veröffentlichten Schrift „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“ Stellung. Sie ist ein Lehrpfad politischer Theorie, nach dessen Anleitung die Menschheit den ewigen Kriegszustand überwinden könnte. In kritischer Distanz zu seinem Werk, läßt Kant es dahingestellt
Zitat: ob die satirische Überschrift [Zum ewigen Frieden] auf dem Schilde jenes [….] Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, [den] Menschen überhaupt, oder besonders [den] Staatsoberhäupter[n], die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur [den] Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen….
1. Sprecher: Träumten nicht schon viele Philosophen und mit philosophischen Fragen vertraute Menschen vor Kant von einem Frieden?
Da gibt es Platon in seiner „Politeia“ oder Aristoteles, aber auch der Christ Augustinus in seiner „Civitas dei“. Im Hochmittelalter fällt mir der Name Pierre Dubois ein und später dann auch sein Rezipient, der Regent des Ladislaus Posthumus, der spätere böhmische König Georg von Podiebrad. Dubois und Georg von Podiebrad schlugen einen europäischen Fürstenbund vor. Mit ihm wollten sie den Frieden sichern. In der „Querela pacis“ – die Klage des Friedens – legte Erasmus von Rotterdam einige Möglichkeiten der Friedenssicherung dem humanistischen Publikum vor. Der deutsche Sebastian Franck verfaßte 1539 „Das Krieg büchlin des frides“. Und natürlich auch William Penn, der Gründer Pennsylvenias, der erstmals keinen europäischen Fürstenbund, sondern einen republikanischen Bund der balance of power entgegenstellte. Ein europäischer Bund, der auf einem europäischen Völkerrecht beruhen sollte. Im frühen 18. Jahrhundert schrieb der Abbé de Saint Pierre sein „Projet pour rendre la Paix perpétuelle en Europe“. Sein Projekt, den ewigen Frieden in Europa zu verwirklichen, sollte richtungsweisend bzw. viel diskutiert werden. Voltaire lachte und geiferte in seiner Schrift „De la paix perpétuelle“ über die Ideen des Weltgeistlichen. Rousseau setzte sich ebenfalls mit Abbé de Saint Pierres Vorschlägen auseinander und würdigte sie in drei Schriften. Übernahm sie für seinen bedeutenden „Contrat social“ jedoch nicht….
2. Sprecher: Oh, bitte, entschuldige….
1. Sprecher: Man darf also nicht annehmen, Kant hätte einfach aus einer Laune heraus den „Ewigen Frieden“ geschrieben. Nur weil der Tag schön war und die Frauen ihre Röcke schürzten. Er hatte nicht allein zahlreiche Vordenker. In ihm selbst reiften die Überlegungen über ein Jahrzehnt hinweg. Darum schrieb im Herbst 1795 Wilhelm von Humboldt an Friedrich Schiller:
Zitat: Kants ewigen Frieden habe ich nun gelesen. […] Im Ganzen kann ich die Schrift nicht sehr wichtig nennen. Es ist mir keine einzige Idee aufgestoßen, selbst den Grundsatz der Politik a priori nicht ausgenommen, welche nicht schon durch seine früheren Schriften gegeben wäre.
In seinem philosophischen Werk machte Immanuel Kant sich erstmals 1784 in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ über eine Friedenskonzeption Gedanken. Zwei Jahre darauf in dem kurzen Text „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“. In dieser kurzen Schrift berichtet der Philosoph, wie sich die Menschen vergesellschafteten und mit welchen Problemen sie deswegen konfrontiert wurden. Die Idee eines weltbürgerlichen Ganzen erdachte der Königsberger erstmals im zweiten Teil der „Kritik der Urteilskraft“ im Jahre 1790. Die beiden letzten Schriften vor der Hauptschrift, in denen der Königsberger Philosoph Friedenskonzeptionen anspricht erscheinen 1793: Allgemein in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ und…
2. Sprecher: ….Hör auf! Hör endlich auf!…
1. Sprecher: ….Nach dem Haupttext „Zum ewigen Frieden“ von 1795 verlegte Nicolovius zwei Jahre später die kurze Schrift „Verkündigung eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie“. Nochmals nahm Kant die Thematik des Völkerrechts in „Die Metaphysik der Sitten“ (1797) auf. Der „Streit der Fakultäten“ setzt 1798, sechs Jahre vor Kants Tod, den Endpunkt in den Betrachtungen der Friedenskonzeptionen…
2. Sprecher: Jetzt ist aber Schluß mit dem Palavern. Mein Kopf färbt sich gleich rot, er läuft schon heiß. So viele Namen und noch viel mehr Titel stechen und sticheln meine Gehirngyri und verschwinden unauffindbar in den Sulci. Auf was kommt es denn eigentlich an, laß uns doch einfach unser Thema hier erörtern: Kants „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“. Also, was halten wir uns mit blutleeren Namen und sterilen philosophischen Begriffen und Titeln auf?
1. Sprecher (etwas beleidigt-gereizt):
Du scheinst augenscheinlich zu wissen, was wir hier tun und sprechen sollen. Gut dann frage ich dich zum Anfang ganz konkret: Mit welcher Grundlage möchte Kant einen Friedenszustand in der Welt einrichten?
2. Sprecher: Wie du schon gesagt hast, es gab viele Vorläufer der Kantschen Schrift. Allein der Königsberger Philosoph hat als erster einen Bund aller Völker der Erde vorgeschlagen, der der heutigen UNO ähnelt. Allerdings unterscheidet sich die UNO von dem Vorschlag Kants in einem wesentlichen Punkt: Die UNO hat den Staaten übergeordnete Kontrollinstitutionen – die Generalversammlung und den Sicherheitsrat. Eine Exekutive gab es bereits in den Bündnisvorstellungen eines anderen Denkers des 18. Jahrhunderts, dessen Name in den Kaskaden deines Wissens den Zuhörern wahrscheinlich verlorengegangen ist: Abbé de Saint-Pierre glaubte, ein ausschließlich europäisch föderalen Fürstenbund mit übergeordneter politischer Kontrolle durch ein Oberhaupt könne den ewigen Frieden zeitigen. Saint-Pierre hatte sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zum Vorbild genommen. In dem es bekanntlich über Jahrhunderte hinweg viele recht autonome Territorien mit selbstsüchtige Fürsten gegeben hatte. Das Oberhaupt, der deutsche Kaiser, versuchte diese kraftprotzenden, jagdfreudigen Eigenbrödler bei guter Laune zu halten. Kant jedoch verzichtet auf ein solches Kontrollorgan.
1. Sprecher: Auf welche Art bildet sich der Kantsche Völkerbund? Sind es einzelne eigenverwaltete Staaten oder wollte er die Völker in einen großen Weltenstaat zusammenschmelzen?
Zitat: 2. Spr. Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein.
2. Sprecher: Der Königsberger Philosoph vertrat die Vereinigung vieler eigenverwalteter Staaten in einem Völkerbund. Den weltstaatlichen Aufbau leitete Kant direkt von dem Zustand der einzelnen Menschen ab. Ohne gesetzliche Einschränkungen befänden sie sich in einem kriegerischen Urzustand. Jeder würde seinen Nächsten einzig und allein mit seiner Anwesenheit bedrohen. Gäbe es keine Gesetze, müßten sich die Menschen gegenseitig mißtrauen, da niemand sie bestrafen könne. Jeder wäre in der Lage, den anderen ohne Folgen zu bekämpfen, zu unterdrücken; ganz wie es ihm beliebte. Ob er nun Krieg gegen den nächsten führe oder nicht, die Bedrohung sei hinreichend, von einem latent kriegerischen Zustand zu sprechen. Allein Gesetze ermöglichten ein friedliches Zusammenleben der Menschen.
1. Sprecher: Die Gesetze sind also Dreh- und Angelpunkt einer jeden friedlichen und somit gesellschaftlichen Beziehung freier Menschen. Aus dem Friedenszustand heraus definiert sich der Staat. Wenn man nun die sich vergesellschaftenden Menschen betrachtet und dieses Prinzip auf die Staaten überträgt, heißt das: Alle Staaten befänden sich in einem beständigen Kriegszustand, solange sie sich nicht mit Hilfe der Gesetze befrieden würden.
Zitat: Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußeren Gesetzen) schon durch ihr Nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.
2. Sprecher: Die Idee des Philosophen krankt in einem Punkt. Die Gesetze der Menschen innerhalb eines Staates würden „vermittelst der Obrigkeit, welche über (die Menschen) Gewalt hat“ eingehalten werden. Er setzt jedoch wie schon erwähnt keine Obrigkeit über den Völkerbund.
1. Sprecher: Kant widerspricht sich nicht! Und seine Gedanken sind durchaus schlüssig! Nur die Konzeption der Vergesellschaftung ist unterschiedlich. Die Menschen treten in einen Staat ein, nicht in einen Bund, wie die Völker es tun sollten. Nach Kants Meinung bedürfe es lediglich dann einer Obrigkeit über die Staaten, wenn sie ihre Eigenstaatlichkeit aufgäben und sich in einen Völkerstaat auflösten. Ein Völkerbund benötige dagegen keine übergeordnete Exekutive. Der Philosoph setzt vollstes Vertrauen in die Vernunft und die Moral. Szenisch läßt Kant die einzelnen Menschen und die einzelnen Staaten zum Prozeß ihrer Vergesellschaftung auftreten:
Zitat: Ein Volk sagt: „es soll unter uns kein Krieg sein; denn wir wollen uns in einen Staat formieren, d. i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten friedlich ausgleicht.
[Der] Staat sagt: „es soll kein Krieg zwischen mir und anderen Staaten sein, obgleich ich keine oberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein, und der ich ihr Recht sichere.“
2. Sprecher: Damit wäre das Kantsche Modell des Völkerbundes in seinen groben Zügen skizziert. Der Aufbau der Staaten als Glieder des Völkerbundes wurde dabei nicht angesprochen. Aus welchen Gründen schöpft eine Gruppe von Menschen, z. B. ein Volk, den Gedanken sich in eine gesetzlich geregelte Gesellschaft zu begeben?
Zitat: 1. Spr. Wenn ein Volk auch nicht durch innere Mißhelligkeit genötigt würde, sich unter den Zwang öffentlicher Gesetze zu begeben, so würde es doch der Krieg von außen tun, indem […] ein jedes Volk ein anderes es drängende Volk zum Nachbar vor sich findet, gegen das es sich innerlich zu einem Staat bilden muß…
2. Sprecher: Betrachten wir einmal ein Volk, das sich bereits zu einem Staat formiert hat aus der Sichtweise Kants. Wie ist dieser Staat im Inneren strukturiert? Wenn Kant Staaten gleichsam als einzelne moralische Personen erachtet, sind sie dann in sich homogen, also eine Art von Nationalstaaten? Einvölkerstaaten von gleicher Sprache, gleicher Religion und gleicher Kultur?
Zitat: 1. Spr. Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler von einander unabhängiger benachbarter Staaten voraus. […] [Die Natur] bedient sich zweier Mittel, um Völker von der Vermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen…
1. Sprecher (singend): Wäre es doch in der Natur Macht gelegen die Völker friedlich, jedem sein Recht zugestehend, getrennt und selbstbewußt in geographische Grenzen zu bannen! Bürgerkriege, Revolutionen innerhalb der Vielvölkerstaaten wären dann ausgeschlossen gewesen. Doch diesem Naturstreben, wie der Königsberger Philosoph meint, stehe das machthungrige Menschengeschlecht entgegen, das sich ausbreiten möchte und andere ihrer Art zu unterwerfen sucht. Aber die Natur besteht letztendlich auf die von ihr geschaffenen Anlagen der Menschen und Völker.
2. Sprecher: Die Natur, eine Maschine, die auf ihre eigenen Vorstellungen von Leben und menschlichem Sein aufmerksam macht. Hat sie Kant nicht in ein wahrhaft schauerlich eigenständiges Licht gerückt? Allenthalben zerbersten in unseren Tagen – scheinbar nach einem inneren Plan der Natur – Staaten-Konstrukte unterschiedlicher Nationen und Kulturnationen. Im Angesicht dessen hat Kant wohl mit seinem unbarmherzigen Naturverständnis recht, wenn er von der Natur sagt:
Zitat: …will sie, daß dieses oder jenes geschehe, so heißt das nicht soviel, als: sie legt uns eine Pflicht auf, es zu tun […], sondern sie tut es selbst, wir mögen wollen oder nicht[…].
1. Sprecher: Ein nationalstaatliches Wesen hat Kants Natur. Mit verschiedenen Sprachen hat sie die Menschheit angelegt, in Völker voneinander abgesondert, auf daß sie getrennt blieben. Wollten die Menschen ihr auch noch so nachdrücklich glauben machen, es könnten Vielvölkerkonstrukte ihre Vorkehrungen zunichte machen: Sie, die „Künstlerin Natur“ wird unterschiedliche Völker, halbherzig verschmolzen zu einem Staat, immer wieder auseinandertreiben. Und sie tut es mit… Krieg. – Das ist gut, denn ich bin Soldat. Wir wären ja sonst seit Jahrhunderten ein Heer von Arbeitslosen.
2. Sprecher: Die zerstörerische Kraft der Kriege enthält den Wunsch der Natur nach neuen homogenen Staatskörpern. Ist es das, was Kant vermitteln möchte? Das hieße, auch der Krieg hätte seine Berechtigung. Und noch vielmehr, sogar eine wichtige Funktion auf dem Weg zum immerwährenden Frieden.
Zitat (2. Spr.): Alle Kriege sind demnach so viele Versuche […], neue Körper zu bilden, die sich aber wieder, entweder in sich selbst oder nebeneinander, nicht erhalten können und daher neue ähnliche Revolutionen erleiden müssen; …
1. Spr.: ….bis endlich einmal, teils durch die bestmögliche Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, teils durch eine gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich, ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann. (G. i. weltbürg. Abs, 7.)
(Musik)
Ideale Staatsform, Die Republik
2. Sprecher: Einzig die ideale Staatsform der Einzelstaaten ist bis jetzt nicht angesprochen worden. Erweist sich Kant in der verblüffenden Aktualität seiner Thesen als ein Demokrat? Oder verteidigt er die Monarchie?
Zitat: 1. Spr. Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.
2. Sprecher: Bedeutet das, Kant ist ein Verfechter der Demokratie?
1. Sprecher: Eine Republik aus der Sicht des 20. Jahrhunderts beschrieben, deckt sich nicht ganz mit der Begrifflichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Zitat: 1. Spr. Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden.
2. Sprecher: Republikanismus ist eine Staatsform, „wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht“. Ihm gegenüber steht der Despotismus,
Zitat: 2. Spr. …[er] ist der eigenmächtige Vollzug des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat.
1. Sprecher: Das bedeutet, Despotismus trennt nicht zwischen Legislative, der gesetzgebenden Gewalt, und Exekutive, der ausführenden Gewalt. Die Gewaltentrennung aber kennzeichnet gerade den Republikanismus.
2. Sprecher: Kant schreibt aber nur von zwei getrennten Gewalten. Die Judikative hatte er in seine Überlegungen nicht einbezogen.
1. Sprecher: Die Judikative hat er wohl nicht gekannt. Ein Staat existiert und arbeitet jedoch nicht allein durch die Wahl einer der beiden möglichen Staatsformen Despotie oder Republikanismus, er benötigt eine „Form der Beherrschung“. Sie wird von Kant in drei Möglichkeiten gegliedert. In Autokratie, Aristokratie und Demokratie.
2. Sprecher: D. h. die Fürstengewalt, die Adelsgewalt und die Volksgewalt. Würde man erwarten, Kant verstünde unter Demokratie die bestmögliche Form der Herrschaft über ein Volk, so enttäuscht der Aufklärer. Demokratie sei ganz im Gegenteil dem Despotismus gleichzusetzen, denn in ihr würden die Gewalten nicht getrennt sein.
1. Sprecher (belehrend): Mit seiner sehr abwertenden Meinung über die Demokratie steht Kant in bester Tradition. Aristoteles, Platon, Cicero, sie alle zählten die Volksherrschaft zu den schlechten Verfassungsformen. Der Königsberger Denker sieht in der Gesamtheit des Volkes den Regierungskörper. Regierung und Regierte sind also identisch. Die Gesamtheit des Volks gibt sich selbst Gesetze und führt diese selbst aus. Kant betrachtete folglich eine direkte Demokratie, die demgemäß keine repräsentative Staatssform ist. Nach Kants Definition erfüllt sie nicht den Anspruch, sich eine Republik nennen zu dürfen. So formuliert er:
Zitat: Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie im eigentlichen Verstande des Worts, notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willen mit sich selbst und mit der Freiheit ist.
2. Sprecher: Deswegen vertritt der Philosoph eine Verfassungsform, in der verschiedene Stände, politische Funktionen zugewiesen bekommen: Die Aristokratie sei gut, am besten jedoch sei die Monarchie geeignet in einem Staat die Exekutive zu übernehmen. Allein Aristokratie und Monarchie wären nämlich befähigt einen Staat langsam und gemächlich, ganz evolutionär in eine Republik umzuwandeln.
1. Sprecher: Denn….
Zitat: (1. Spr.) je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanismus….
2. Sprecher: Nur was bedeutet das bloß. Was ist denn jetzt die Republik Kants?
1. Sprecher: Halten wir erst einmal fest: Ein markanter Charakterzug des Republikanismus ist die von der exekutiven Gewalt getrennnte Legislative. Der Königsberger stellt dazu noch ein Verhältnis zwischen ausführender und gesetzgebender Gewalt auf: Je weniger Personen die ausführende….
2. Sprecher: …..oder auch regierende…..
1. Sprecher: Gewalt besäßen….
2. Sprecher: ….und je mehr Personen die gesetzgebende Gewalt als Repräsentanten des Staates in sich vereinten,….
1. Sprecher: genau dann wäre ein staatlicher Zustand erreicht, den Kant Republikanismus nennt.
2. Sprecher: Und Repubikanismus im Sinne des Kaliningraders ist eine parlamentarische Demokratie.
1. Sprecher: Die der Philosoph aus Königsberg jedoch nicht Demokratie nennen durfte, weil der Begriff viel zu negativ verstanden worden wäre. Unter Demokratie verstand man bis zum 18. Jahrhundert eine direkte Demokratie.
2. Sprecher: Wie wir vorher schon festgestellt haben.
1. Sprecher: Richtig!
2. Sprecher: Die beste Staatsform war wie man sieht im „Ewigen Frieden“ noch ein wenig verschlüsselt und ungenau von Kant beschrieben. Doch nur zwei Jahre später 1797 erklärt er sein Verständnis des besten Staates unmißverständlich.
1. Sprecher: Das tut er in der „Metaphysik der Sitten“. Die repräsentative, parlamentarische Art der Demokratie bezeichnete er in dieser Schrift als einzig mögliche Form des Republikansimus.
Zitat: Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein, als ein repräsentatives System des Volks, um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten ihre Rechte zu besorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt, der Person nach sich auch repräsentieren läßt, so repräsentiert das vereinigte Volk nicht bloß den Souverän, sondern es ist dieser selbst.
(Musik)
Resümee
2. Sprecher: Wir haben uns einen Kant erschlossen, der, mit ungetrübtem Verständnis für seine triste Gegenwart, optimistisch in die vernunfterfüllte Zukunft blickt. Zwar ist Kant von der Vernunft durchdrungen, doch hat er keinen unmittelbaren Einfluß auf gesellschaftliche Veränderungen. Ihm ist es jedoch mittelbar möglich Veränderungen zu erwirken. Vernunft muß wachsen, sie darf nicht ihre Prinzipien revolutionär vertreten und durchsetzen.
1. Sprecher: Demgemäß verfährt Kant mit seinem Entwurf zum ewigen Frieden. Distanziert breitet er den Plan vor seinem Publikum aus. Einen Plan, der vielleicht irgendwann eine friedliche Gesellschaft zuließe. Würde der Philosoph aus Königsberg heute nach seinen inzwischen zweihundert Jahre alten Ideen Ausschau halten, so wäre er bestimmt von der Entwicklung seit seiner Zeit angetan: Es gibt eine mehr, oft minder funktionierende Staatenföderation, die UNO. Immerhin ist sie ein Völkerbund mit einem Exekutivorgan, der die ganze Welt umfaßt.
2. Sprecher: Und doch unterscheidet sich die UNO von Kants Idealbild entscheidend. Kant glaubte, auf die Exekutive des Völkerbundes verzichten zu können. Bereits darin weicht sein Ideal von unserer gegenwärtigen Situation ab.
1. Sprecher: Das Kantsche Prinzip der Absprache unter den Nationen, das ein Exekutivorgan auschließen sollte, darf jedenfalls als gescheitert angesehen werden. Es ließ sich nicht verwirklichen und war nur ein utopischer Gedanke von einer besseren Welt.
2. Sprecher: Auch die homogenen naturgewollten Staaten wie sie Kant beschreibt wird es wohl nie geben. Die Wirklichkeit besitzt ein multikulturelles, multiethnisches Gesicht.
1. Sprecher: Andererseits hatte der Philosoph vor 200 Jahren erkannt, wie instabil Staaten sind, in denen mehrere Religionsgemeinschaften und mehrere Nationen leben. Und Krieg scheint sie tatsächlich auseinanderzureißen. Das läßt sich zumindest aus der jüngsten europäischen Katastrophe im ehemaligen Jugoslawien ableiten.
2. Sprecher: Deswegen können wir nur hoffen, er möge nicht Recht behalten mit seinem Axiom des instabilen Zustands multinationaler und -kultureller Staaten.
1. Sprecher: Sonst müßte es zu weiteren unmenschlichen ‚ethnischen Säuberungsaktionen‘ kommen – zu weiteren Kriegen.
2. Sprecher: Aber unser Trost ist: Eine teleologische Geschichte, d. h. eine zielgerichtete Geschichte gibt es nicht und kann es nicht geben. Wenn es aber keine zielgerichtete Geschichte gibt, kann es auch keine Gesetze geben. Gesetze, denen die Geschichte als Prozeß unterliegt.
1. Sprecher: Folglich wäre auch ein multinationaler Ausweg aus unserem jetzigen Zustand denkbar. Ein ‚Kantscher Rückfall‘ in die Nationalstaatlichkeit, wie es ihn im ehemaligen Jugoslawien gibt, ist also ein nicht zwingender Deut in unsere Zukunft. Darauf können wir hoffen.
2. Sprecher: Richtig: Unsere Zukunft liegt sicherlich nicht in dem nationalstaatlichen Völkerbund Kants. Sie liegt in einem Bund multikultureller Gesellschaften. Vernunft möge diese Gesellschaften verändern: Die heutigen Staaten müssen die vielen unterschiedlichen kulturellen Minderheiten mit all ihren eigenständigen Formen in ihre, und zwar, selbstbewußte Gesellschaft integrieren. An die Forderung Minderheiten zu integrieren knüpft sich eine weitere, die sich an die verschiedenen kulturellen Minderheiten richtet: Sie müssen bereit sein, sich mit der Gesellschaft, in die sie eintreten wollen zu identifizieren.
1. Sprecher: Viele Kämpfe wird dieser Prozeß fordern, und viele Tränen werden dem Verlust des alten Begriffs der Nation hinterherfließen.
2. Sprecher: Aber ist die „Nation“ nicht längst überholt, hoffnungslos altmodisch verstanden? Sollte „Nation“ nicht neu definiert werden? Die Gesellschaft eines Staates bezeichnend, die ihre Einheit aus ihrem geographischen Siedlungsgebiet ableitet und auf Begriffe wie Volk und Stamm verzichtet?
1. Sprecher: Noch gibt es ihn, den Begriff „Nation“, in seinem alten Verständnis. Angsterfüllt vertritt er vehement seine althergebrachte Begrifflichkeit. Ob er nun in seiner alten Bedeutung oder in seiner neuen verstanden wird, aus den Kantschen Gedanken ist jedenfalls eines herauszustellen: Die Gleichheit aller Staaten.
2. Sprecher: Betrachtet man – wie Kant – Staaten als moralische Personen, die sich unter gemeinsamen Gesetzen in einem Völkerbund zusammenfinden, so müssen sie sich untereinander als Gleichwertige achten. Und das ist ihnen erst dann möglich, wenn sie sich selbst als vollwertige Staaten verstehen. Patriotismus oder auch nationales Bewußtsein ist damit nicht ausgeschlossen, sondern ein notwendiger Bestandteil der staatlichen Selbstachtung.
1. Sprecher: Dagegen muß man den Nationalismus entschieden verurteilen!
2. Sprecher: Da bleibt uns nur mit den Worten François Mitterands zu schließen:
Nationalisme, c´est la guerre! – Nationalismus, das ist der Krieg!
1. Sprecher: Nationalismus, das mag wohl Krieg sein, und doch sind wir mit unserem polykulturellen Traum ähnlich übersteigert optimistisch wie Kant in seinem Glauben an die Vernunft. Sollte es tatsächlich einmal einen ewigen Frieden geben, wohin fließt dann all unser Aggressionspotential? In die Bildung und damit in die Vernunft?
2. Sprecher: Wie schrieb Abraham Gotthelf Kästner dazu so treffend am Ende des 18. Jahrhunderts:
Auf ewig ist der Krieg vermieden,
Befolgt man was der Weise spricht;
Dann halten alle Menschen Frieden,
Allein die Philosophen nicht.