Im Diskurs der Klimakrise und den Fridays for future findet sich seit einigen Tagen eine starke normative Position: „Schüler dürfen nicht streiken. Das Schuleschwänzen mache die Anliegen der Fridays for future-Bewegung nicht wertvoller.“ Meine Meinung ist zwiegespalten, nicht weil ich mich nicht festlegen kann, sondern weil es den Beamten und den Wissenschaftler in mir gibt. Als Beamter sage ich klar: Wer dem schulischen Unterricht fernbleibt, der muss die Konsequenzen tragen und bestraft werden!
Als Wissenschaftler sehe ich die Angelegenheit differenzierter: Über die Art der Strafe lässt sich reden. Im Strafen werden die Schrauben gestellt, die über die Radikalisierung der Bewegung entscheiden werden. Kluge Strafen und umsichtiges Agieren wären angebracht, sonst wächst die Kluft zwischen dem normativen System der Rechtsstaaten und dessen negative Wahrnehmung durch die Demonstrierenden. Wir brauchen keinen Klimaterrorismus, der sich in der schon jetzt aufgeheizten ideologischen Stimmung bilden könnte, wenn Strafen und weiteres Nichtstun oder Zuwenigtun zur Frustration der Demonstrierenden führen. Natürlich befinden sich die Schulen in einer denkbar prekären Situation. Als staatlichen Institutionen repräsentieren sie den Staat und können schlecht gegen ihn vorgehen, indem sie die Schüler unterstützen, also nicht bestrafen. Damit gefährden sie den Rechtsstaat. Aber gerade in dieser Loyalitätsmisere liegt der Hebelpunkt, an dem die demonstrierenden Schülerinnen und Schüler (es gibt genug, die brav und konform in die Schule gehen) ansetzen. Genau dort liegt ihre Macht, den Staat und somit das fossile System, das wir alle noch stützen, zu Reaktionen zu bewegen.
Der Staat, kann diese mannigfaltigen Rechtsbrüche nicht hinnehmen. Also muss er sich bewegen. Natürlich könnten auch schöne Umweltprojekte, angestoßen von der Schulleitung und dem Lehrer*innenkollegium, gemacht werden, wie ich sie in meiner Schulzeit sehr schätzte: Anlage eines Teiches inklusive Feuchtbiotope. Wie habe ich mich über Bergmolche gefreut! Müllsammelaktionen und Schnibbeln im Schulgarten. Allein damit wurden wir und der projektleidende Lehrer schon als idealistische Grünen-Spinner abgetan, die sich in deutschen Romantizismen ergehen. Bergmolche! – Spinnereien in einer Schule, die sich selbst als elitär verstand und nur pragmatisch und utilitaristisch dachte. Umwelt und Umweltschutz, so wurde uns vermittelt, gehörten allenfalls zu den lieblich-kitschigen Luxusartikeln bayerischer Schulwerkzeuge. Die Schule folgte damit lediglich der Politik – wie hätte sonst ihr Weg aussehen können, sie ist doch Teil des Ämter- und Behörden-Staats.
Aber die Klimakrise ist kein lieblich-kitischiger Luxusartikel wie die gute Luft, das reine Wasser oder der Lärm der Zivilisation. Es hat nichts mehr mit dieser Trias zutun, die im ausgehenden 20. Jahrhundert von deutscher Politik als Umwelt verstanden wurde: Lärm, Wasser, Luft. Die Welt der Umwelt, wie sie von der Politik konstruiert wurde, ist seitdem wesentlich komplexer geworden. Aber erst in den 1990er Jahre tauchte die Klimakrise in der Politik der großen Volksparteien auf. Natürlich mit Einschränkungen: Ökonomisch umsichtig müsse man sie behandeln. Man müsse auf die Unternehmen achten, auf Wirtschaftlichkeit. Oder von seiten der SPD: Klimapolitik dürfe nicht zu Lasten der arbeitenden Klasse gehen. Fragte man in den 1990er Jahren bei der SPD nach, ob es Arbeiter und Angestellte nach einem Klimakollaps geben werde, so hieß es: „Dann geh‘ doch zu den Grünen!“ Kurzsichtigkeit prägte die Politik, da konnten das IPCC warnen, was es wollte. Klimakrise heruntergebrochen auf die Nationalstaaten, bedeutete immer das Aufrufen eines Arguments: Der anthropogen verursachte globale Klimawandel, so es ihn denn gibt, müsse global gelöst werden. Schaut man die Wahlprogramme zu den Bundestagswahlen in den 1980er und 1990er Jahren an, so zeigt sich, dass der globale Klimawandel und die Klimakrise ein Angst-Unternehmen der Wissenschaft, der Presse und einiger Teile der Bevölkerung war, aber nicht eine Sache der Politik. Nicht einmal die Grünen kamen in den 1980er Jahren über die Umwelt-Trias Lärm, Wasser, Luft hinaus.
Nun haben wir die Misere. Das Fossile System, auf das sich unsere Demokratien und unsere Gesellschaften stützen, haben nicht genug auf sich geachtet. Nun wenden sich Schülerinnen und Schüler gegen dieses System, indem sie Rechtsbruch begehen und dafür rechtmäßig bestraft werden. Was soll sich denn daraus ergeben? Wollen wir wirklich eine Radikalisierung der Bewegung?
Für Deutschlands föderale Struktur gilt: Die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten müssten die Streiks so schnell wie möglich beenden. Das gebietet die Verantwortung gegenüber der Rechtsstaatlichkeit. Fridays for future sollte transformiert werden. Aber das bedeutet etwas, an das ich kaum glauben kann: Dass sich das System selbst umbaut.
Es gibt in im Fall der Klimakrise kein gutes Streiken im Sinne des Rechtsstaats, weil sich der Streik mit dem Rechtsstaat und gegen ihn spielt. Moralisch hingegen ist der Streik das wichtigste, was in den letzten Jahren in der Jugendbewegung zu verzeichnen ist. Diese Diskrepanz zu lösen, ist nun die Aufgabe der Regierungen – nicht der Schüler und Schülerinnen.