Urlaub, was war das?
Was bleibt nach Corona und mitten im Klimawandel vom Urlaub, wenn die Mobilität wegfällt? – Die Regeln des unsichtbaren Alltags!
In diesem besonderen Jahr, das aufgrund einer Pandemie alles ehemals so unumstößliches Gegebenes hinterfragen lässt, durcheinanderschüttelt und Unsicherheit im Treibsand gesellschaftlichen Getriebes verbreitet, das Wesen des Fliegens lehrt, dass nämlich die Sicherheit immer nur im Fliegen selbst zu finden ist und keineswegs in der durchlässigen Luft, stand im Sommer die Frage nach dem Urlaub an. Wohin? Denn weg von zu Hause war doch immer ein Muss. Raus aus dem Gewohnten, hinein in etwas Anderes. Mobilität schien ehemals ein dankbares effizientes einfaches Werkzeug des Urlaubs zu sein, um den Regelbruch mit dem Gewohnten zu begehen. Vom alltäglichen Domizil in einen anderen Bezugsraum, in dem sich noch weitere Transformationen ergeben konnten: vom geregelten Leben in lebendige Regeln, die der andere Ort und seine Region mitbestimmten. So lässt das Meer seine Urlauber schwimmen, das Gebirge Wandern und Skifahren. Wer den Regelbruch zum Gewohnten, die lebendigen Regeln des Urlaubsortes aus welchen persönlichen Gründen nicht vollziehen konnte, dem blieb zumindest durch den anderen Ort die räumliche Imagination sich im Anderen, im Urlaub zu befinden. Der Ortswechsel und die damit verbundene Mobilität machten den Urlaub immer zum Urlaub.

Erlaubnis geht dem Urlaub voraus. Erlaubnis zu gehen, muss von einer vorgesetzten Person oder von sich selbst erbeten werden. Das ist ein hierarchischer Schritt. Erst die erteilte Erlaubnis Urlaub zu nehmen, erstellt den Rahmen sich auf Zeit von der Hierarchie des Alltags zu lösen. Urlaub steht damit in einer Tradition grundherrschaftlicher Bindungen des Feudalzeitalters. Wer die Erlaubnis von wem auch immer eingeholt hat, durfte urlauben. Doch was folgte nach erteilter Erlaubnis zum Urlaub in der Zeit vor der Pandemie? Es war die Transformation durch Bewegung. Üblicherweise vollzog sie sich eingepfercht in einer Maschine, die weite Strecken überwindet, Flugzeug, Auto, Bahn – sie waren die Zauberformeln der Translokation. Der Raum zwischen Gewohnheit und Andersheit wurde oft nur in einem negierenden Akt überwunden: möglichst schnell, möglichst bequem hindurch ohne störende Nebeneffekte, wie Sehenswürdigkeiten oder Reifenpannen. Kinder wurden mit Hilfe von Videofilmen, -spielen und mäßiger Zuckerzufuhr sediert. Dann endlich die Ankunft. Der Transformationsraum war überwunden worden, die Urlaubsunterkunft wurde bezogen. Dort war zumindest schon einmal der Ort anders. Aber gut urlaubt nur, wer so viel wie möglich anders macht als im Gewohnten. Nach der inneren Uhr aufstehen und ins Bett gehen. Alkohol trinken oder gerade keinen, kochen, lesen, schreiben, fotografieren, malen, tauchen, schwimmen, mit dem Rad fahren, wandern oder was es sonst noch für Betätigungen gibt, die nicht alltäglich sind. Was sich hinter all diesen Phänomenen des Urlaubs versteckt, möchte ich gleich im Anschluss betrachten. Neben dem Ortswechsel und der Transformation scheint auch der Zeit eine Rolle zu spielen. Den Urlaub begrenzt ein Zeitraum. Erlaubnis zum Urlaub erhalten die Menschen nur, um danach um so besser das Gewohnte bewältigen zu können. Am Ende des Urlaubs geht es deswegen umgekehrt zurück auf dem Weg durch den Transformationsraum. Der Zauberspruch wird genutzt für den rückkehrenden Eingang in die Welt, die das Übliche ist. Am Urlaubsort stecken sich die Urlaubskaninchen in den Zauberhut der Mobilität, am Ankunftsort greift der Alltag hinein und zieht die erholten Menschen hervor. Eine stete Geburt des Gewohnten und des Anderen hatte sich ehemals vor der Pandemie in der Urlaubsgesellschaft vollzogen.

Aber nun herrscht Corona. Was nun? Die Pandemie lässt ähnlich wie der Klimawandel hinterfragen, wie sehr der Ortswechsel und vor allem der genutzte Zauberspruch der Translokation gefährlich für Leib und Leben ist. Manche fragen sogar, ob moralisch vertretbar.
Kurzum: Regelbruch formuliert das Ziel des Urlaubs. Mobilität ermöglichte durch fossile Technik den Regelbruch komfortabel auf einer lokalen Ebene zu vollziehen. Sollte diese Transformation durch Translokation als verbindlichste Form des Urlaubs wegfallen, was bleibt? Corona und der Klimawandel machen schließlich das undenkbare möglich: Ein neuer Lebensvollzug, der mit weniger Mobilität und mit weniger Ortswechsel auskommen muss, etabliert sich gerade. Was bedeutet das aber für den Urlaub? Natürlich das, was ihn ausmacht, der Regelbruch, die Transformation vom Alltag ins Andere. Fällt der Urlaubsort weg, der uns ermöglichte, gelebte Regeln aus den lokalen Gegebenheiten abzuleiten, um das Andere zu erleben, heißt das noch lange nicht, dass sich dasselbe Prinzip nicht am Ort des Alltags ausleben ließe.

Urlaub wird folglich zur Transformation des Alltagsorts in den Urlaubsort. Es ist auch klar, wie das möglich ist: Möglichkeiten unserer Wohnorte nutzen wir nur zu einem Bruchteil. Urlaub in der Nachcoronazeit und in der Epoche des Klimawandels könnte also in der Aktivierung des Unbekannten und Unbewussten vor der Haustür liegen. Folglich wird ein anderer Transformationsprozess notwendig: Unsichtbares des Alltagsorts sichtbar machen. Die Notwendigkeit der Transformation durch Mobilität verringert sich, der Alltagsort, an dem andere Regeln möglich sind wandelt sich. Weniger betrifft das, seine Ausformung in der Wirklichkeit als die individuelle Simulation, die kognitive Konstruktion von ihm. Urlaub wird zur Kopfsache. Entspannen und erholen ließe sich darin vortrefflich, allein es gibt eine Konstruktion, die mehr Macht eignet, die soziale, die Urlaub nur in der Form denken lässt, wie wir sie vor Corona gekannt haben. Aber darin offenbaren sich nur konstruierte Werte einer Gesellschaft, die schnell andere werden können. Zigaretten interessieren kaum mehr, obgleich am Beginn des 20. Jahrhunderts noch alle Menschen rauchen wollten. Leben und Gesundheit erscheinen heute teurer als die Verheißung einer Zigarette. Alkohol wird wohl ein ähnliches Schicksal widerfahren. Folglich bleibt nur eines: Warten auf die neuen Werte. Warten auf den neuen Urlaub, der sein wird, was er schon immer war: ein Regelbruch, jedoch ohne große Translokation, ohne überbordende Mobilität.