Der folgende Text bezieht sich auf die Publikation „Die authentische Stadt. Urbane Resilienz und Klimakult, Passagen Architektur, Wien 2020“. ErschienenSeptember 2020. Der Text pseudonymisiert das Egerviertel, es ist jedoch leicht zu erkennen, um welches Bauprojekt es sich hier handelt.
Weiterführende Texte zum Egerviertel
„Als Beispiel für eine Entwicklung eines Stadtquartiers soll eine pseudonymisierte Stadt mit einem zu entwickelnden Quartier dienen, das auf dem Gelände einer stillgelegten Brauerei entstehen soll.
Bestand: Urbaner Kontext
Die Kleinstadt Echtingen liegt im Schwäbischen und hat einen Altstadtbereich mit einem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Baubestand von ca. 85 %. Kriegsschäden sind in dieser Stadt nicht zu verzeichnen. Die Stadtmauer der ehemaligen Reichsstadt ist nur auf der Westflanke der Stadt zum Bahnhof geöffnet, sonst markiert sie die Grenze von Altstadt und suburbaner Zone. Das Areal der ehemaligen Brauerei liegt im Norden der Stadt direkt an einem Stück intakter Stadtmauer. Im Süden grenzt das Areal an den Fluss, der die Stadt durchquert, die Schönach. Das heißt, das Gelände liegt außerhalb des Altstadtkerns. Europäische Altstädte bestehen immer aus einem hochkonzentrierten Stadtkern und lockerer Garten- und Siedlungsstruktur zwischen Zentrum und Stadt- mauer. So ist es auch in Echtingen. In diesem ehemaligen lo- ckeren Siedlungsbereich mit viel Grün liegt das Areal. Das Grün, das noch bis in 19. Jahrhundert existiert hatte, musste der Abfüllanlage und der Lagerhalle sowie den Garagen wei- chen. Auf dem Gelände sind die frühneuzeitlichen Parzellen noch erkennbar, auf denen sieben Gebäude stehen. Sechs davon gehen auf Gebäude vor 1800 zurück, das siebte ist das ehemalige Sudhaus aus den 1950er-Jahren. Der Baubestand und die Parzellen sind auf den fünf historischen Stadtansich- ten und Plänen zu sehen, der erste und wohl bekannteste stammt aus dem Jahre 1524. Schon auf dieser ersten Stadtan- sicht strukturieren Wege die Grünzone des Geländes. Ähnlich blieb das Verhältnis Grünzone und Bebauung auch im 17. Jahrhundert. Auf dem Plan von 1648 ist bereits an der nord- westlichen Ecke des Geländes ein dreigeschossiges Gebäude erkennbar, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch das Sudhaus ersetzt werden sollte. Die Brauerei existiert urkund- lich seit dem Jahr 1617. Aus den Steuerlisten wird ersichtlich, dass dieses Eckgebäude bereits der Familie Borger gehörte. Die Familie hatte über die Jahrhunderte die Gartenanteile um das Eckhaus erworben. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gehört ihr das gesamte Areal zwischen Stadtmauer im Norden, Schönach im Süden, gegen Osten grenzt es an die Mauern des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals. Im Westen dient die Schiffgasse als Begrenzung. Das genannte Eckhaus ist das einzige historische Gebäude, das der im 19. und 20. Jahrhun- dert wachsenden Brauerei zum Opfer fiel. Alle anderen Gebäude sind frühneuzeitlicher Bestand. Auf der Wand des Sudhauses mit großer Fensterfläche, die einen direkten Blick auf den Sudkessel erlaubt, waren das Emblem und der Schriftzug der Brauerei gemalt worden: Schiffsbräu Echtingen. Die üb- rigen Gebäude dienten der Verwaltung, der Gastronomie, der Lagerung und als Wohnungen der Familie Borger sowie der Angestellten. Die Grünflächen wurden im 20. Jahrhundert as- phaltiert. Bewuchs ist nur noch minimal Richtung Schönach erhalten. Eine große Linde spendet den Tischen im Wirtsgar- ten Schatten. Zwei Bestandsgebäude sind besonders hervor- zuheben: das Verwaltungsgebäude rechts des Sudhauses und ein Walmdachgebäude aus dem 18. Jahrhundert in der südöst- lichen Ecke zwischen Schönach und Heilig-Geist-Spital. Das Verwaltungsgebäude ist ein im Grundriss quadratischer Bau, der aus einem Gebäude des 15. Jahrhunderts entwickelt wur- de und durch eine straßenseitige zentrierte Gaube sich der Aufmerksamkeit nicht entziehen kann. Der Baukörper scheint weitgehend gepflegt und intakt zu sein. Das zweigeschossige Walmdachgebäude aus dem 18. Jahrhundert ist größtmöglich versehrt. Es hatte einer angesehenen Händler- familie gehört. Auch dieses Gebäude beruht auf zwei Vorgän- gerbauten, die im 18. Jahrhundert zusammengefasst worden waren und eine einheitliche Fassadengestaltung bekamen. Bereits im 16. Jahrhundert war das Gebäude von einem Garten mit ansprechender Gestaltung umgeben. Es ist das stattlichste Gebäude des Areals. Wahrscheinlich wegen seiner großzügigen Zweigeschossigkeit wurde es umgebaut zu drei Garagen für die Lastkraftwägen der Schiffsbrauerei. Hinter den drei fast traufhohen Garagentoren aus Aluminium öffnet sich eine Großraumgarage. Das Haus war vollständig ent- kernt worden. Der Dachstuhl ist jedoch nicht frei sichtbar, sondern durch eine Decke abgehängt, die reichhaltige Spuren aus Stuck erkennen lässt. Sogar sind fahle Reste von Decken- malerei bei besserer Ausleuchtung und genauerem Blick er- kennbar. Im Norden des Gebäudes wurde ein weiterer Gara- genbau errichtet. Der im Stadtarchiv befindliche Bauantrag weist das Jahr 1967 aus. Der Zweckbau scheint mit minimals- ten baulichen Mitteln ausgeführt worden zu sein. Die übrigen Bestandsgebäude sind durchweg frühneuzeitliche Fachwerk- gebäude aus dem 15. Jahrhundert. Allesamt sind sie unbe- wohnt und heruntergekommen. Der historische Bestand ist nahezu identisch mit dem Kataster von 1817. Auch die Stadt- pläne aus den vorausgehenden Jahrhunderten zeigen kaum einschneidende Änderungen. Lediglich im 20. Jahrhundert wurde in der Zeit des Wachstums viel asphaltiert und schlecht hinzugebaut: der Garagenanbau an das bürgerliche Walmdachhaus angefügt, eine Abfüllhalle und eine Lagerhalle errichtet.
Das gesamte Areal ist hervorragend dokumentiert und der Bestand, wenn auch dem Verfall preisgegeben, historisch in seinem Ensemble wertvoll, als ein historischer Zeuge eines Brauereibetriebs, der fast vierhundert Jahre die Stadt und de- ren Umland mit Bier versorgte. Der Brauereigasthof „Zum Schiff“ war eine beliebte Restauration am Ufer der Schönach bis zur Stilllegung im Jahr 2007. 2013 wurde das Gelände von der Stadt gekauft, um der Wohnungsnot zu begegnen. In der mehrjährigen Phase der Entscheidungsfindung und Planung wurde das Gelände für Kunstausstellungen und als Begegnungszentrum genutzt. Die Fachwerkhäuser boten vier Übungsräume für lokale Bands und fünf Ateliers für Künst- ler. Eine typische urbane Zwischennutzung des Areals zeigt sich darin. Inzwischen erfolgte eine Ausschreibung. Drei In- vestoren haben ihre Konzepte für Mischnutzung vorgestellt. Eine Jury hat sich aufgrund von Gutachten des Landesamts für Denkmalpflege für einen belanglosen Investorenentwurf entschieden. Seitdem das Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, findet – wie in den meisten vergleichbaren Fällen – eine historische Wertschöpfung des Areals durch den städtischen historischen Verein statt. Getragen werden diese Bemühungen von den Ängsten der Nachbarschaft, die Nach- teile für ihre Wohnsituation fürchten. Deswegen unterstützen sie die Tätigkeiten des historischen Vereins, der eine Schautafel vor dem ehemaligen Sudhaus anbrachte. Sie erläutert den historischen Wandel des Geländes der Schiffsbrauerei. Die Diskussion hält an.
Zuordnung von historischen Werten:
Epistemischer Wert
Der hohe epistemische Wert ist durch die Dokumentation des Areals in bildlichen Darstellungen der Stadtpläne, durch viele Fotografien seit 1866 und lückenloses Archivmaterial seit
dem 15. Jahrhundert belegt. Die erst relativ kurze Zeit zu- rückliegende Schließung der Brauerei und des Brauereigasthofs garantieren für einen hohen Erinnerungswert des Gelän- des in der Bevölkerung. Die Schautafel des historischen Ver- eins ermöglicht die Performanz des Wissens über das Areal und schöpft damit epistemischen historischen Wert. Der Straßenname „Schiffsgasse“ wird auch in Zukunft die Erinnerung an das Areal ermöglichen, sollte sie nicht umbenannt werden.
Materieller Wert
Obwohl die Gebäude teils stark verändert wurden, ist die his- torische Materialität der Gebäude vorhanden. Es kann ihnen materieller Wert zugeschrieben werden. Dies betrifft auch das Sudgebäude aus den 1950er-Jahren, das auch von der technischen Ausstattung kaum verändert wurde.
Temporaler Wert
Die Dokumentation des historischen Wandels, aber auch die klar ersichtlichen Bauabschnitte der einzelnen Gebäude spre- chen für hohen temporalen Wert, der den historischen Wandel ästhetisch erfahrbar macht. Sogar die Grünzonen sind in ihrer Entwicklung zur Asphaltwüste sichtbar. Letztlich zeigen das bauliche Ensemble und die Raumaufteilung das Jahrhunderte währende In-der-Zeit-Sein des Areals. Die Schautafel am Sudhaus steigert die Empfindung des Authentischen der Ästhetik, indem es das In-der-Zeit-Sein erläutert und spezifiziert in verschiedenen Narrationen.
Lokaler Wert
Die Lage des Areals und seiner Gebäude ist seit Jahrhunderten dokumentiert. Die Bebauung zeugt von der Entwicklung der Streubebauung und des großzügigen Grünbereichs. Es besteht kein Zweifel an dem historischen Wert.
Ästhetischer Wert
Das gesamte Areal bietet eine Fülle von zeitautonomen Bau- formen, die auf klar voneinander abgrenzbaren Entstehungszeiten hinweisen. Somit verfügt das Ensemble über einen hohen ästhetischen Wert.
Idealistischer Wert
Eine Zuschreibung dieses historischen Werts ist nicht möglich.
Zusammenfassung
Insgesamt verfügt das Ensemble über eine Vielzahl histori- scher Werte, die ein starkes Empfinden von Authentizität des Geländes ermöglichen. Der geografische und anthropogene Ort hat durch seine historische Dimensionierung das Potenzial, Identität zu stiften und damit eine hohe Rückbezüglichkeit der zukünftig dort wohnenden und handelnden Menschen zu erzeugen. Dazu sollten die historischen Werte bestmöglich erhalten oder transformiert werden. Rücksichtnahme auf Kli- maschutzaspekte, aber auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit eingeschlossen. Identität, die Geschichte und Ort erzeugen, erschaffen Wohlbehagen, die eine gute Stadtviertelplanung in einer Mischnutzung berücksichtigen sollte. Ge- schichte ermöglicht es, die eigene Position in der Zeit zu bestimmen, die in einer Stadtviertelentwicklung beruhend auf historischen Werten gelingt. Sie erzeugt Immobilienwert auf der ökonomischen Seite, Wohlbefinden auf der Seite der Resilienzsteigerung des urbanen Raums.
Entwurfsanalyse für Entwicklungskonzepte
Erfassung des Entwurfs
Der durch die Jury ausgewählte und dem Stadtrat empfohlene Entwurf des global agierenden Investors UrbanArchTec-
Group wurde auch vom Landesamt für Denkmalpflege favo- risiert. In der Ausschreibung wurde festgelegt, das Verwaltungsgebäude und das Walmdachgebäude, das als Garage benutzt wurde, sollten erhalten bleiben und in die Konzeption einbezogen werden. Die frühneuzeitliche Parzellenstruktur sollte zumindest partiell sichtbar bleiben. Aufgrund der Garagen- und Stellplatzverordnung müssen ausreichend Stellplätze für die Wohneinheiten, ein behördliches Gebäude und die Kindertagesstätte berücksichtigt sein. Bei 62 vorgegebenen Wohneinheiten wird dadurch eine Tiefgarage erforderlich.
Der Siegerentwurf bezieht lediglich die beiden historischen Gebäude ein, entwickelt die Fachwerkgebäude nicht mit. Sie müssen der Tiefgarage und einer extensiven Wohnbebauung weichen. Die Parzellenstruktur ahmt die Baureihe an der Schönach sanft nach, ansonsten orientieren sich die Architek- turen für die Wohneinheiten an der Höhe des Sudhauses. Sie sind der einfachen Baustruktur des Sudhauses nachempfunden: Schlichte dreigeschossige Satteldachhäuser mit ausgebauten Dachstühlen, die von einer Vielzahl von Dachgauben belichtet werden. Die Südfassaden werden alle durch Balko- ne strukturiert. Die Fenster sind mit Fensterläden zu verschatten. Entlang der Stadtmauer sind drei hohe Gebäudeteile geplant, die durch kleinere identische quadratische Gebäude ohne Bauabstände verbunden werden. Auf dem Bauort des ehemaligen Sudhauses steht senkrecht zur Stadtmauer ein Gebäude, das dem Entwurf der drei anderen, großen Baukör- per entspricht. Die Balkone sind nach Osten ausgerichtet. Südlich von dem Gebäude, das das Sudhaus ersetzt, ist das sanierte Verwaltungsgebäude der Brauerei eingeplant, das sich äußerlich kaum verändert, nur an der Ostseite erhöht ein angestellter Balkon den Wohnwert des Penthouse im Ober- und Dachgeschoss. Zwischen den beiden Gebäuden befindet sich eine Durchfahrt, wie sie bereits im Bestand enthalten ist. Ein Schwibbogen zwischen beiden Architekturen kennzeich- net wie im historischen Bestand diese Durchfahrt, die zugleich Einfahrt in die Tiefgarage ist. Entlang der Schönach sind mehrere Gebäudeteile geplant, die sich an der frühneu- zeitlichen Parzellenstruktur orientieren. Zwischen diesen Ge- bäuden und dem bislang als Garagen genutzten und zu erhal- tenden Walmdachhaus ist ein Platz geplant, der auf die histo- rische Grünzone anspielt, die im 20. Jahrhundert in eine As- phaltwüstung verwandelt wurde. Der Platz ist abschüssig zur Schönach hin und bietet Erholungs- und Aufenthaltsqualität. Die historische Grünzone ist nur marginal durch eine Rasen- bepflanzung aufgenommen. Darunter befindet sich die Tief- garage. Das gesamte Areal wurde auch neu benannt: Das Schiffsbrauerei Areal wurde umbenannt in Schönachquartier. Nur die Schiffsgasse soll an die historische Nutzung des Areals erinnern.
Abgleich der Entwurfsplanung mit dem Bestand durch SIA (Signifikanten-Interaktionsanalyse)
Für die Bewertung der Entwurfsplanung nach ihren histori- schen Werten und ihrem Empfinden des Authentischen lässt sich ein einfaches Werkzeug schematisch und evident einsetzen. Es ist abgeleitet aus der Signifikanten-Interaktionsanalyse (SIA), mit der Wandel von Zuständen schnell erfassbar wird. Der komplexe Name ist letztlich auf ein simples Prinzip zurückzuführen: Mit historischem Bestand können wir lediglich mit drei verschiedenen Modi umgehen. Wir können ihn belassen, ihn anpassen oder ihn beseitigen. Diese drei Grund- prinzipien verstehen sich als Frageschematismus: Zuerst muss festgelegt werden, was betrachtet wird. Im Falle der Stadtentwicklung wird immer von der Entwurfsplanung aus- gegangen. Sie wird in Relation zum historischen Bestand gesetzt. Was wird betrachtet im Entwurf? Auf was bezieht es sich im historischen Bestand? Welche Modifikation erfährt der historische Bestand im Entwurf? Wird er belassen, wird er angepasst oder beseitigt? In einem weiteren Schritt kann die historische Wertigkeit bestimmt werden.
Im Beispiel des Schiffbrauereigeländes von Echtingen lassen sich folgende Entwurfselemente in Relation zum Vorbestand setzen:
1) Administrationsgebäude, 2) das Walmdach-Garagenge- bäude mit Anbau, 3) die Fachwerkgebäude aus der Frühen Neuzeit mit mittelalterlichen Kernen, 4) die frühneuzeitliche Parzellenstruktur entlang der Schönach, 5) die Parzellen- struktur entlang der Stadtmauer, 6) die Kubatur des Sudhau- ses, 7) der Schwibbogen zwischen ehemaligem Sudhaus und Administrationsgebäude, 8) Platz an der Schönach vs. Historische Grünzonen, 9) der Name Schönachquartier vs. Schiffs- brauereiareal.
- 1) Das zu sanierende Administrationsgebäude:
– Außenerscheinung des Entwurfs belässt die
Ästhetik des Bestands
– Selbst der Balkon ist kein Bestandteil des
Gebäudes, sondern wird als freistehendes – Objekt angefügt.
- 2) Das Walmdachgebäude mit Anbau
– Wird angepasst und in einen ästhetischen
Vorzustand überführt.
– Der Garagenanbau für Pkws wird beseitigt,
das Walmdachgebäude freigestellt.
- 3) Bebauung anstelle der Fachwerkgebäude
– Die Fachwerkgebäude werden beseitigt.
- 4) Die frühneuzeitliche Parzellenstruktur an der
Schönach
– Bleibt belassen.
- 5) Die frühneuzeitliche Parzellenstruktur entlang der Stadtmauer
– Wird beseitigt.
- 6) Die Kubatur des Sudhauses
– Bleibt belassen und gibt die Höhe der Wohn- bebauung entlang der Stadtmauer und auf dem
Bauplatz des ehemaligen Sudhauses vor.
7) Der Schwibbogen zwischen ehemaligem Sudhaus
und Administrationsgebäude
– Wird beseitigt, aber neu ausgeführt.
- 8) Platz an der Schönach vs. Historische Grünzonen – Der Platz an der Schönach passt die
historische Grünzone an, übernimmt die
Funktion.
- 9) Der Name Schönachquartier vs.
Schiffsbrauereiareal
– Der gewohnheitsmäßige Name des Areals
Schiffsbrauereiareal wird beseitigt durch Schönachquartier.
Dieses einfache relationale Analyseverfahren nach der SIA hilft im nächsten Schritt, die historischen Werte der Ent- wurfsplanung zu bestimmen.
Der epistemische Wert des Geländes bleibt unangetastet. Der lokale Wert ist stark vermindert durch die Umbenennung des Areals in Schönachquartier. So wird ersichtlich, was das Konzept eigentlich möchte: weg von dem Authentischen, weg von der Geschichte und der Identität des Geländes. Folg- lich vermindert sich der lokale historische Wert, weil das Konzept starke ubiquitäre Züge trägt. Es negiert Geschichte und seine Identität, macht den Ort zu einem Nicht-Ort. Ledig- lich der baulich-urbane Kontext entlässt den Entwurf nicht ganz in die Geschichtslosigkeit. Materieller Wert wird überall eingebüßt. Die Fachwerkbauten werden entfernt und nicht weiterentwickelt. Besonders betrifft dies auch das Sudhaus, das als Identifikationspunkt dienen könnte. Es wird beseitigt und hätte durchaus den historischen Wert der Vornutzung punktuell steigern können, wenn es in die Entwurfsplanung einbezogen worden wäre. Anklänge an das Sudhaus finden sich nur als idealistischer Wert, der sich in der Höhe der Bau- werke wiederfindet. Es wird damit ein rein städtebaulicher Bezugspunkt entwickelt, aber nicht als historischer Wert argumentiert. Die frühneuzeitliche Parzellenstruktur an der Schönach hat hohen lokalen und temporalen historischen Wert, der sich gut in die Umgebungsbebauung eingliedert. An der Stadtmauer hingegen sticht die Bebauung übermäßig her- aus und zerstört historischen ästhetischen und idealistischen Wert. Der Schwibbogen zwischen ehemaligem Sudhaus und Administrationsgebäude wird aus dem Vorbestand neu ausgeführt übernommen, ihm lässt sich idealistischer Wert hinzufügen. Der Platz an der Schönach übernimmt idealistisch die Grünzonen und Gartenstruktur der frühneuzeitlichen Stadt. Ansonsten ist von der historischen Gartenstruktur kaum mehr übrig als der Anklang der unprätentiösen Rasen- flächen auf der Tiefgarage, der minimalen idealistischen Wert hinzufügt. Insgesamt verfügt die Entwurfsplanung über viel Potenzial, historische Werte zu steigern und damit auch das Empfinden des Authentischen voranzubringen. Unter den Gesichtspunkten der authentischen Stadt sind einige gute Elemente vorhanden, aber es könnten noch viel mehr sein.
In Bezug auf die Resilienz, die historische Werte und ihre Schöpfung sowie Steigerung ermöglichen, könnte an diesem Entwurf noch einiges getan werden. Es wäre wichtig, Identifikationsräume zu schaffen, die Verbundenheit und Erholung bieten. Das sind Ausprägungen von Resilienz im urbanen Raum, die im Klimawandel mehr und mehr notwendig wer- den. Die Grünzonen und Gartenanlagen sind ein Beispiel dafür, welche Funktion sie für die Resilienz haben: Mit dem Klimawandel, steigenden Temperaturen durch erhöhte Son- neneinstrahlung in urbanen Räumen, sind Grünzonen ein evidenter Teil der Resilienz. Sie machen gegen Hitze wider- standsfähig. Die Tiefgarage verhindert es, tiefwurzelnde Bäume einzuplanen. Es müssten andere Wege gefunden werden. Neben dieser rein funktionalen Resilienz wäre auch wichtig, das Wohlbehagen zu betrachten. Die Entwurfsplanung hält keine Raumteilung durch Pflanzen bereit, entwickelt keine intimen Räume im Raum zwischen den Baukörpern.
Aus dem Aspekt der Kultur eines nachhaltigen Bauens heraus verliert der Entwurf. Weiterentwicklung des Baubestandes erfolgt nur dort, wo es nach den Vorgaben der Ausschreibung unbedingt geboten ist. Die Garagen- und Stellplatzverordnung macht die Tiefgarage notwendig, nur eine offene Mobi- litätslösung könnte dieses Problem der hohen Betoneinbringung vermeiden.
In dieser operationalisierten Form könnte eine Begutachtung mittels historischer Werte und dem Empfinden des Authentischen vollzogen werden. Sie lässt sich leicht auf andere Ent- wicklungsprojekte übertragen. Notwendig erweist sich dabei immer ein interdisziplinäres Vorgehen. Mikrohistorische Stadtforschung ist die Grundlage für den epistemischen An- teil, also für die soziale Konstruktion. Bauhistorische Analysen müssen ebenso einfließen, um eine valide Bestimmung zu ermöglichen. Die Resilienz, die mit historischen Werten und dem Empfinden des Authentischen erschaffen werden kann, liegt auf einer ästhetischen Dimension, die auf Identität, Inte- grität und Wohlempfinden abzielt. Dieses Wohlempfinden wird erzeugt durch die individuelle Positionierung in Raum und Zeit, die atmosphärisch von den entwickelten Stadtquar- tieren ausgeht. Über die historischen Konzepte der Klimaresilienz in den Städten lässt sich ebenso forschen und diese Erkenntnisse einbeziehen. Eine wichtige Funktion übernehmen die Grünzonen, die historisch in den Städten Europas belegt sind, ebenso das Prinzip des Weiterbauens. Interdisziplinäre historische Forschung wird damit zu einem Beitrag zur Klimaresilienz.“
3 Gedanken zu “Beispielsanalyse Leitbild „Authentische Stadt“ Egerviertel Nördlingen”