Letzte Generation: Warum Klimaschutz vor lauter Romantik kein Thema ist

Vernebelt ist unser Blick auf die Letzte Generation, die unseren Verkehrsfluss stört und unsern Alltag perturbiert. Wütend über ihre Protestformen sehen wir nicht mehr, um was es eigentlich geht, nämlich um den Kampf zweier Strategien im Umgang mit dem Klimawandel – Klimaschutz gegen Klimaresilienz. Die Letzte Generation vertritt den Klimaschutz, den die Politik bislang nie ernsthaft als gangbaren Weg verfolgte. 

Bashing the Letzte Generation 

Kein Tag vergeht, an dem nicht ein herabsetzender Kommentar über die Letzte Generation die Extinction Rebellion oder die Scientist Rebellion in den Medien zu lesen ist. Das Ankleben sei Nötigung und brächte gar nichts. Die Ziele 9-Euro-Ticket und Tempo 100 km/h auf den Autobahnen seien seicht und unterkomplex gedacht. So schreibt beispielsweise Patrick Bernau in der FAZ am 13.11.2022. (Dieser Kommentar sei nur der Anlass dieses Textes, nicht seine besondere Qualität oder interessante Aussagekraft.) 

Die Lücke Klimaschutz

Was tun die Gruppen um die Letzte Generation eigentlich? Aus ihrer Perspektive nennen sie ihr Tun civil disobediance, ziviler Ungehorsam. Aus der Perspektive der Kritiker*innen heißt es, die Tatbestände der Nötigung und der Sachbeschädigung seien erfüllt, sie verstößen gegen das Versammlungsverbot und so weiter und so fort. Kurzum sie sind Kriminelle, weil sie Gewohnheiten des Alltags stören. 

Genauso ließe sich aber fragen, auf welche Terrain die Letzte Generation und die ihnen nahestehenden Gruppen kämpfen. Die Antwort ist tatsächlich einfach: Sie kämpfen dort, wo Administration und Politik nie vordringlich agierten, sie sind zivil ungehorsam im Rahmen des Klimaschutzes. Politik und Administrationen arbeiten vor allem gut, teils sogar sehr gut auf einem anderen Feld. Es geht ihnen nicht um die mitigation of climate change, also um den Klimaschutz, sondern um die adaptation of climate change, also um die Klimaresilienz. So lautet die These, dass die Letzte Generation einen Bereich besetzt, gegen den sich die machthabenden und legitimiert gewaltausübenden Institutionen verwehren. Klimaschutz wird staatlicherseits zu wenig betrieben, radikaler Klimaschutz wurde nie betrieben. Weil die Letzte Generation mit ihren Aktionen auf diese Lücke hinweist, werden sie diskreditiert und delegitimiert, kriminalisiert. 

Durchaus verständlich ist es, warum die Politik auf Klimaresilienz setzte. Zum einen ist das 1,5 Grad Ziel nicht mehr erreichbar. Es wäre nur umsetzbar gewesen, wenn bereits 2010 eine Revolution der Lebensverhältnisse eingesetzt hätte, weniger fossile Mobilität, weniger Reisen, weniger Urlaubsflüge, weniger Energieverbrauch, intelligentere Bauwirtschaft, CO2-sparendes Gesundheitswesen, weniger, weniger, weniger von alle dem, was unser westliches Leben in den letzten 30 Jahren so angenehm gemacht hat. Zum anderen ist Klimaresilienz einfach, es lässt sich etwas tun, konkret mit Baumaßnahmen und Stadtbegrünungen. Das ist gut, sogar sehr gut. Der Verzicht kommt dagegen schlecht an. 

Klimaresilienz schränkt nicht ein. Klimaresilienz versucht mit der Erderwärmung den Lebensstandard zu halten. Das lässt sich leichter argumentieren und umsetzen als die Ideologie des Verzichts des Klimaschutzes. Klimaresiliente Politik handelt integrativ. Fossile Energieträger, Atomkraft können als Übergangstechnologie ausgewiesen werden, deren CO2-Emissionen und sonstige unliebsame Nebenwirkungen, wie die der Atomkraft, können neutralisiert werden durch die Anstrengungen in der Klimaresilienz. Klimaresilienz ist der einfache Weg aus der fossilen Vergangenheit in eine postfossile Zukunft. Alles Liebgewonnene bleibt, wie wir es kennen, gegen die Axiomsänderungen in der Atmosphäre wenden wir gebaute und gestaltete Umwelten sowie Techniken an. Darin steckt das Prinzip Hoffnung, das der Klimaschutz erst sekundär zulässt. Primär bedeutet Klimaschutz Verlust von Gewohnheiten und Lebensstandard. Hingegen ließe sich Klimaresilienz auslegen als smarte postfossile Transformation der Gesellschaft ohne Einbußen der Lebensqualität. Klimaresilienz ist sicherlich ein wichtiges Thema. Es ist ein bequemes sanft reformierendes Lösen der Probleme des Klimawandels. 

Das Ende: die Proteine

Wäre da nur nicht eine Grenze, die uns gefährlich wird: Menschliche Proteine denaturieren bei 42 Grad Celsius irreversibel. Dann ist Schluss, Ende mit menschlichem Leben. Extinction wird damit wahrscheinlich, eine Rebellion irgendwie auch.

Die Letzte Generation verweist genau auf dieses Manko der Politik und der Adminstrationen. Wir brauchen Klimaschutz gleichermaßen wie Klimaresilienz. Wir benötigen den selbstgewählten Verlust an Lebensqualität, die selbstgewählte Einschränkung, wenn unsere Eiweiße nicht an der Ideologie der Anpassung verklumpen sollen. Beides ist notwendig. Klimaschutz provoziert Trauer, Klimaresilienz Hoffnung durch Anpassung, Intelligenz und Technik allen Wohlstand zu retten, den wir im sogenannten Westen gewohnt sind. Aber wir sind doch nicht allein auf der Welt. Wir können uns möglicherweise Klimaresilienz leisten, andere sicherlich nicht. Doch wir sind verantwortlich für ihre spezifischen Folgen des Klimawandels. Klimakolonialismus, Klimaapartheit, Klimafaschismus, Klimaausbeutung sind Gefahren und mögliche Folgen. All das muss bedacht werden und obendrein auch noch global

So zeigt sich, was hinter der Gegnerschaft der demokratisch Ermächtigten und der Medien gegen die Klimaschützer der Letzten Generation steckt. Es ist eine Entscheidung, den Klimawandel mit Anpassung zu begegnen und nicht mit CO2-Einsparung. 

Es fiel irgendwann in den 1990er Jahren diese Entscheidung, dass Klimaschutz nur global möglich sei und deswegen der romantische Weg einzuschlagen sei; wir mit dem Klimawandel und nicht wir gegen ihn. Dieser Romantizismus ist überaus gefährlich, wenn er zu einseitig bleibt. Wir müssen uns anpassen soweit es geht, aber wir müssen auch den Klimawandel schnell und wesentlich vehementer bekämpfen. Und das bedeutet, wir müssen unsere Gewohnheiten bekämpfen. Das ist unpopulär. Anders geht es nicht. Ein Ethos des Verzichts ist sicherlich unerlässlich.

Es dürfte eine durchaus legitime Frage sein, ob nicht radikalerer Klimaschutz, für den die Letzte Generation und die ihr nahen Gruppen eintreten, ein sinnvollerer und global verträglicherer Schwerpunkt im Handeln gegen den Klimawandel wäre. 

Klimaappeasement

Für die Politik kann Klimaschutz nicht verträglich sein. Weil er nicht gesellschaftsverträglich ist, ist radikaler(er) Klimaschutz nicht vermittelbar, so die stillschweigende Schlussfolgerung. Ob daran die Welt genesen wird? Das Beispiel des Tempolimits auf Autobahnen arbeitet dies deutlich hervor. Eine Mehrheit der Bundesbürger*innen findet ein Tempolimit gut. Die Bundespolitik kann sich dazu aber nicht durchringen. Bereitschaft auf Verzicht wird politisch nicht reflektiert und umgesetzt. So zeigt sich die Forderung nach dem Tempolimit als eine wenig seichte Forderung, sondern eine, die über gewaltige Signalwirkung verfügt. Die unkomplizierte schnelle Umsetzung ermöglichte schnelles Absinken der CO2-Emissionen im Verkehrssektor von 2,6-5,4 Millionen von Tonnen CO2. Ginge die Politik auf diese Forderung der Letzten Generation ein, zeigte sie sich bereit für den Klimaschutz, tut sie es nicht, verweigert sie sich und setzt weiter einseitig auf Klimaresilienz.

An dieser Zeigerforderung lässt sich der Wille der Politik ablesen. Momentan steht der Zeiger unzweifelhaft auf: Verzicht auf den Verzicht – wir wollen keinen Klimaschutz, wir passen uns lieber an und suchen den Kuschelkurs mit dem Klimawandel. Klimaappeasement ist bislang die vorherrschende Diskursposition der Resilienzpolitik, die wir mit dieser und der vorhergehenden Bundesregierungen gewählt haben.

In den nächsten Jahrzehnten wird sich herausstellen, dass diese romantische adaptive Haltung falsch gewesen sein wird, dass wir wesentlich mehr für den Klimaschutz hätten tun müssen. Mit Sicherheit! – Es sei denn, es explodieren zu allem Überfluss auch noch die Phlegräischen Felder und sorgen für einen globalen Winter.

Stefan Lindl am 14. November 2022.

Zu meiner Perspektive: Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der urbanen Klimaresilienz. Ich bin Mitglied des Zentrums für Klimaresilienz der Universität Augsburg und blicke aus dieser Richtung auf den Klimaschutz und dessen Aktivist*innen. Meine Arbeiten beinhalten Ansätze zur mitigation und zur adaptation of climate change.

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